Äm Chemi­fäger sis Päch

Gedichte und Kurzprosa im Sankt Galler Dialekt

Autor:Erwin Messmer
Erscheinungsjahr:2014
Genre:Gedichtband
Verlag:Drey Verlag


Besprochen von Rainer Stöckli
Die Abteilungen des Buches haben kuriose Überschriften: »Nochem Winterschloof / Äs chöönt jo sii / Proscht Sokrates / Uuf und aab«. Im letzterwähnten Kapitel führt einer das Wort, der unsereinem ganz nach dem Munde redet. Auf mitteleuropäische Verhältnisse sich beziehend, äussert er ein floskelhaftes »Äs gitt Schlimmers«; »daa ghöörtmen öppädiä / vo aim wo joomärät«. Es gibt Schlimmeres! Wir Ostschweizer gehen mit so wohlfeilem Trost normalerweise leichtfertig um – eine Abwärts-Spirale ist ja nicht in Sicht. Wann hätten wir günstiger unsere Häu­ser geheizt? Wann hätten wir billiger europäische Autos gekauft? Wann hätten wir für – in der EU gefertigte – Bücher weniger ausgelegt?
Das Buch mit dem launigen Titel »Äm Chemifäger sis Päch« ist in Villingen gedruckt worden und macht im Programm des Schwarzwälder Kleinverlags gute Figur. Es dürfte eine Ausnahme sein, dass eine Kleinverleger-Gruppe Gedichte und Kurzprosa im Sankt Galler Dialekt herausbringt. Übrigens zum zweiten Mal nach 2010. Hiesige Mundart wird zwar in Ulm druckgelegt, in Freiburg im Breisgau, in Anzing bei München; sogar die Luzerner spoken script-Editionen stammen regelmässig vom Druckort Freiburg. Auch im orte-Verlag ist die Fremdfertigung über Jahre hin Brauch gewesen. Mit der Neu-Domilizierung im Ausserrhodischen Schwellbrunn wird das wohl ändern.
Das Buch mit Erwin Messmers poetischer Dialekt-Arbeit ist im Südschwarzwald lektoriert, gestaltet, gedruckt worden. Mit offenbar schönstem Marktvertrauen der drei Verleger Markus Manfred Jung, Hanspeter Wieland, Wendelinus Wurth. Über den Grenzfluss Rhein hin, auf 200 Kilometer Distanz, Luftlinie. Motto in Messmers Jargon: »meer sind ono doo / gopfridschtutz«!
Der Autor ist 1950 in Staad geboren und seit Jahrzehnten in Bern tätig. Sein jüngstes Buch verwendet das Bild von der »Abwärts-Schpiraalä« (Seite 19) als Be- und als Entlastung. Denn allzeit und jetzt sowieso gebe es welche, denen es »väschissäner gooht«, die wir aber, behauptet der Jammerer, »appsolutt nöötig« hätten. Zu Vergleichszwecken. Für unser Selbstwertsystem. Die Vergewisserung bewährt sich bereits auf der Folgeseite, aus Anlass eines Krankenbesuchs / us Aalass vom ene Chrankepsuech (vgl. Seite 20).
Wenn tatsächlich keine Spirale abwärts, so lesen wir Sankt Galler Messmers Buch fortan unbekümmert. Nämlich waagrecht, nicht so, wie die Steinach fliesst, in Wirklichkeit: fällt. Vielmehr so, wie des Lyrikers Gedichtfolge einen ankommt. Kein schlimm / schlimmer / am schlimmsten in der einigermassen bewölkten Welt. Sondern Staunen vor der raren Sprachform. Wir widmen uns, nebst der schon zitierten »Schpiraalä«, der Fremdwort-Orthographie in Passwitt, Zaa­hügieenikerin, Wärnissaasch, Ggoafföör, Cheehrtunäll; wir stutzen angesichts von välängärät und appgheengt (abgehängt), lassen uns Saft- und Kraftverben wie väprättscht (zertrümmert) oder plagöörä (aufschneiden) gefallen, sowieso wiflä und chiflä, guslä und heepä, durägsegglät und wäggschtibitzt.
Aber dann »we goohtster?« »Commssicommssa«! »Ererläpptig« (ihrer Lebtag)! Das »märggpmärem nöd aa«! »Ä logetzdoo«! »’Träänä / laufädärä über ’Paggä«! – War solcherart Eggimann’sches Notieren unabdingbar? Wo doch, wer Lyrik in Mundart verschriftlicht, damit zu rechnen hat, dass sein Dialekt als Literatursprache nur in relativ engem Kreis ankommt. Soll die überinstrumentierte Verfremdung den Reiz der Texte ausmachen? Ist auf Lesers Stocken sogar abgezielt? Messmer und die Drey-Leute begegnen solchem Fragen, indem sie das Buch mit Glossar versehen und zum Textkorpus eine Compakt-Disk anlegen. Beides unbedingt hilfreich, wenn denn der Autor seinen Dialekt dem eigenen Gehör entlang notiert. Aufs Ohr mehr als aufs Aug seiner Leserin hin – folgerichtig also t’Sonn / t’Schtilli / k’Cheerzä / t’Schpatzä / p’Frau / p’Muetter / p’Vögel.
Und doch bleibt manches Geschmacksache. Müssen Fremdwörter, gar Eigennamen exotisiert auftreten? Epoass, Schaanssä (Chance), Rolaatoor, Scharrcütte­rii, Ssitroon pressee, Schtainwey, Schagall (für den Maler aus Witebsk) … Muss für Sprechlängen nach Doppelvokal auch noch ein Dehnungs-h stehen? Schtooht / pudelwoohl / iicheehrä / woohrschinnli / du faahrsch … Wieso der Beistrich für eine Auslassung nach dem s statt davor? s’Muul, s’isch dekoriärt, s’GeeAaa (General-Abonnement)?