Erinnerung an Otto F. Walter



Von Ruedi Bind
Auch die Schweiz hatte Kraftorte und Energiebündel der Literatur: Z. B. Otto F. Walter, ein unruhiger Geist, sprühend von Ideen und Taten für das gedruckte Wort.
In der FAZ vom 10.1.1967 war nach dem literarischen Selbstmord des Walter-Verlags in Olten mit seiner Kündigung von Otto F. Walter zu lesen: »Was in Österreich nie gelungen ist, hat dieser Mann für die Schweiz geleistet, dass die zeitgenössische Literatur deutscher Sprache ausserhalb Deutschlands ein Zentrum hat.« (Das mit Österreich gilt natürlich längst nicht mehr.)
Sein Vater war Verleger, eine seiner acht Schwestern war die Nonne und Schriftstellerin Silja Walter. Aus dem Gymnasium des Klosters Engelberg flog er wegen rüpelhaftem Verhalten und Schulverweigerung, durchlitt eine Buchhändlerlehre in Zürich und trat schliesslich in das väterliche Verlagsunternehmen mit zeitweise über 400 Angestellten ein. Den Herren des erzkonservativen und katholischen Schweizer Walter Verlags in den grauen Anzügen war Otto F. Walter mit seinem literarischen Programm, insbesondere seiner inzwischen legendären Broschur-Reihe »Walter-Drucke«, immer schon ein Dorn im Auge, und das nicht etwa, weil die einzelnen Buchseiten wie von Hand aufgeschlitzt schienen. Als da auch noch Laut und Luise von Ernst Jandl veröffentlicht werden sollte, war die Kündigung endlich beschlossen. Luchterhand übergab ihm darauf das literarische und soziologische Programm. Bald sah er sich zu seinem eigenen Er-
staunen als Leiter des gesamten Verlages in einer Zeit, als nicht nur in Deutschland, sondern weltweit ein vehementer Kultur- und Gesellschaftsumbruch gärte.

Translationen mit Celan

Mit noch weniger Text lässt sich kaum ein bedruckter Buchrücken zwischen zwei Hardcoverdeckeln einrücken. Im Haupttext von 27 Seiten gehen 6 Seiten an abgedruckte Briefe von Paul Celan und Otto F. Walter. Dazu kommen noch 6 Seiten Anmerkungen mit interessanten Details und Fakten. Martin Zingg zeigt auf wenigen Seiten sehr viel. Das Büchlein ist spannend und schnell gelesen. Celan in einer äusserst schwierigen Lebens- und Schaffensphase, unzufrieden mit dem S. Fischer Verlag, wird von Otto F. Walter für sein innovatives Literaturprogramm umworben, schliesslich gewinnt ihn Unseld Ende 1966 als Dichter für den Suhrkamp Verlag. Nicht nur die Verlagsgeschichte mit Celan scheiterte, Otto F. Walter wurde im selben Monat vom Walter-Verlag entlassen, und damit endete sein leidenschaftlicher Einsatz für seine Aufsehen erregende Reihe »Walter-Drucke«. Wer durch diesen kurzen Ausschnitt aus der jüngeren Verlags- und Zeitgeschichte neugierig geworden ist, der kann sich im folgenden (aber früher erschienenen) Buch durch weitere Zusammenhänge und Hintergründe führen lassen.
Vier Gespräche

Dieses ältere und gewichtigere Buch über die Verleger-Geschichte gibt Einblicke in ein Gespräch, das der Fragende und Herausgeber Martin Zingg angestossen hatte. Es ist ein Gespräch über vier Termine von 22.9.93 bis 25.2.94. Ein halbes Jahr später war Otto F. Walter, Schriftsteller, Verleger und Kämpfer, tot. Nochmals vier Jahre später kam dieses Buch heraus, angereichert durch Faksimiles, Fotos, hilfreiche Zwischentexte und biografische Skizzen zu denjenigen Autoren, die im Gespräch ausführlicher erwähnt wurden. Ausserdem mit Erinnerungen von Kurt Marti (»Leider gibt es unter der Knute des Markts immer weniger derartige Verlegerpersönlichkeiten«) und Jürg Steiner. Eine Kostbarkeit aus den letzten Zinnen dieser Literaturversuchsanstalt.
In einem Gespräch, anders als in einer Abhandlung, die aus einer Zusammenziehung, Selektion und Vertiefung der Informationen besteht, kommen die Gesprächspartner selber zu Wort und ins Bild, ebenso ihre Blickrichtungen, ihr Ton, ihre persönliche Art, ihre Ansichten und Gewichtungen. Aus den zahlreichen Namen und bunten Erzählungen in diesen Gesprächen erfahre ich Dinge des Verlegerlebens aus nächster Nähe, die für mich ganz neu waren. Dabei hat mich etwas ganz besonders berührt. Wenn Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle unter sich sind, wird schnell mal ausgiebig geschimpft.

Otto F. Walter, das wird von Anfang an deutlich, hatte derart viele seltsame Begegnungen mit besonders empfindlichen Menschen und damit allen Grund, über vieles und viele zu schimpfen. Nun ist jedoch die Art, wie er seine schmerzhaften, belastenden oder behindernden Erlebnisse und Begegnungen mitteilte, gerade in unserem immer noch lauter und aggressiver gewordenen Zeitalter, besonders eindrücklich. Ihm war mittlerweile bewusst, »dass eigentlich jede Etappe in meiner Existenz zunächst einmal durch eine Krise ausgelöst und in Gang gesetzt wurde«, und damit gewinnt Walter mancher Widerwärtigkeit seines Lebens eine positive Seite ab.
Durch solche Personen wie Otto F. Walter wird klar: Mit Autoren allein lässt sich die Literaturgeschichte nicht schreiben. Und zum Glück gibt es solche Intellektuelle wie Martin Zingg, die mit ihren Fragen und Recherchen solchen farbigen Lebensverwicklungen beharrlich nachgehen und für uns aufzeichnen.
Ruedi Bind

Martin Zingg: Translationen – Otto F. Walter und Paul Celan. Ein kleines Kapitel Verlagsgeschichte, Reihe Kritische Wälder, 2015, 39 Seiten

Martin Zingg (Hg.): Folgendes: Otto F. Walter über die Kunst, die Mühe und das Vergnügen, Bücher zu machen. Lenos Verlag, Basel 1998, 188 Seiten