Die Welt ohne uns
Autor: | Alan Weisman |
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Erscheinungsjahr: | 2009 |
Genre: | Sachbuch |
Verlag: | Piper Verlag |
Gelesen von Katrin Züger
Was wird sein, wenn eines Tages, in der ersten Sekunde nach Mitternacht, plötzlich alle Menschen von der Erde verschwunden sind? Wegen eines Supervulkans zum Beispiel, eines Killer-Asteroids, eines Gammablitzes, eines Nuklearkriegs, einer Künstlichen Intelligenz, die die Menschen auf einen anderen Planeten verfrachtet, eines ultimativen Virus, das die Menschen erledigt, nicht aber alle anderen Organismen? Dann übernimmt die Natur, beginnt mit dem grossen Hausputz. Die Häuser zerbröckeln, langsam aber stetig: Die Dachziegel lecken, die Mauern zerfallen, Holz wird zerfressen, Wasser dringt durch Spalten und Ritzen, Rohre platzen, Fenster zersplittern, nach hundert Jahren werden sie verschwunden sein. Die aus Kalkstein errichteten Pyramiden werden wahrscheinlich länger bestehen als die modernen Gebäude von heute, aber auch sie werden schliesslich der Verwitterung zum Opfer fallen. Strassenbeläge reissen auf, Pflanzen spriessen daraus hervor. Rost lässt Brücken zerbröseln. Blitze lösen Brände aus, die von niemandem gelöscht werden. Strassen werden zu Flüssen. Gasspeicher, petrochemische Anlagen, Bohrtürme, Kernkraftwerke explodieren, wenn nicht rechtzeitig vor dem Verschwinden genügend Schalter umgelegt wurden. Nach fünfhundert Jahren überwuchert Urwald die Städte. Darin verborgen ein paar Ruinen von Kirchen und Tempeln.Die Tiere werden überleben, aber wie? Viele Vögel bemerken das Verschwinden der Menschen nicht, weil sie schon heute isoliert im Dschungel leben. Andernorts werden sie nicht mehr Opfer von Stromkabeln, Fensterscheiben und Vogeljägern. Insekten vermehren sich explosionsartig, dank den menschlichen Überresten als Nahrungsquelle. Darüber freuen sich die Fledermäuse, die grössten Feinde der Insekten. Die landwirtschaftlichen Nutztiere, Rinder, Schweine, Schafe, leben ein paar Jahre sorglos dahin, geniessen die freie Liebe und schlagen sich auf den Feldern die Bäuche voll. Eine moderne Hochleistungskuh mit zwanzigtausend Litern Milchleistung jedoch hat keine Überlebenschance. Das Rieseneuter ist viel zu verletzungsanfällig. Vielleicht sterben die Rinder ganz aus. Manche verhungern hinter verschlossenen Türen. Die Yaks könnten sich zur führenden Horntierrasse erheben. Auch die Wildtiere profitieren, Feldhasen, Wildschweine, Rehe. Doch schon bald nehmen die Erträge der nicht mehr bestellten Felder ab, die Nutzpflanzen verwildern. Zugleich breiten sich die Wälder aus, Brände und Überschwemmungen schaffen eine neue Dynamik, und immer mehr Raubtiere begeben sich auf die Jagd. Die Zootiere brechen aus ihren Gehegen aus und suchen sich einen eigenen Weg, doch sie haben es schwer, weil sie nicht gelernt haben, selbstständig zu jagen, ausserdem dürfte es zu wenig Paarungspartner geben.
Noch schwerer haben es die Lieblinge der Menschen, Kaninchen, Meerschweinchen, Hamster, Wellensittiche, sie enden schnell zwischen den Reisszähnen von Raubtieren. Die meisten Chancen haben Katzen, die sich ihren Jagdinstinkt erhalten haben und ohnehin auf Menschen pfeifen, wenn nur genügend Fressen herumläuft. Härter ist es für die Hunde. Sie bekamen Futter, Spielzeug und Streicheleinheiten. Was scherte sie der Verlust an Selbstständigkeit und Gehirnmasse? Jetzt fehlt ihnen beides, wenn sie sich plötzlich allein auf der Strasse versorgen müssen. Notgedrungen schliessen sie sich zu Rudeln zusammen, wagen sich in die Wälder, jagen, paaren sich kreuz und quer, nähern sich langsam ihren Vorfahren an, den Wölfen, bleiben ihnen dennoch unterlegen.
Für andere bedeutet das Verschwinden der Menschen von Anfang an das Ende: Haarbalgmilben etwa, die bis zu 0,4 Millimeter winzigen, hoch spezialisierten Spinnentiere, die in den Haarfollikeln leben und sich von abgestorbenen Hautzellen ernähren. Kopf- und Kleiderläuse, die nicht einfach auf andere Wirtstiere wechseln können. Ratten, weil ihnen die menschlichen Abfälle fehlen. Kakerlaken, wegen des Ausfalls der Heizungen.
Nach Jahrhunderten stellt sich ein neues ökologisches Gleichgewicht ein. Doch Hinterlassenschaften der Menschen bleiben noch lange erhalten. Gold, Diamanten und andere Edelsteine, die nicht korrodieren und intakt bleiben, solange sie nicht in den Erdmantel hinabgezogen werden und schmelzen. Kunststoffe, die wegen der langen Polymer-Ketten kaum biologisch abbaubar sind. Plastikmüll, der in etwa tausend Jahren zerfällt. Chemische Weichmacher namens polychlorierte Biphenyle. Raffinerien, die ausser Kontrolle geraten und noch lange Zeit die Natur belasten. Radioaktive Materialien aus Kernreaktoren und Raketentests. Glas in Form von Bier- und Weinflaschen, wenn es nicht durch tektonische Bewegungen zerdrückt wird. Für zukünftige ausserirdische Besucher dürfte es ein Leichtes sein festzustellen, dass einmal eine fortschrittliche und gleichzeitig zerstörerische Spezies auf dem Planeten gelebt hat. Doch irgendwann werden alle Spuren getilgt sein. Spätestens in ein paar Milliarden Jahren, wenn die Sonne stirbt.
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