Vom Umgang mit Tieren
Der Zürcher Tieranwalt Antoine F. Goetschel
Von Peter Frömmig
Die Größe und den moralischen Fortschritteiner Nation kann man daran messen, wie sie
die Tiere behandelt.
Mahatma Gandhi
Seit Jahrzehnten widmet sich Dr. Antoine F. Goetschel neben seiner sonstigen Anwaltstätigkeit in Zürich dem Tier: in Recht, Ethik und Gesellschaft. Er hat zahlreiche Aufsätze und Bücher dazu verfasst, die „Stiftung für das Tier im Recht“ mitbegründet und war maßgeblich daran beteiligt, dass die Schweiz, als einziges Land der Welt, die Würde des Tieres in der Bundesverfassung verankert hat. Drei Jahre lang hat Goetschel das weltweit einzigartige Amt des Rechtsanwalts für Tierschutz in Strafsachen des Kantons Zürich ausgeübt und dabei viel bewegt. Über das Amt hinaus ist er zum international führenden, einflussreichen Tieranwalt geworden.
In seinem Buch „Tiere klagen an“ erhebt er, stellvertretend für unsere Mitgeschöpfe, seine Stimme. Er fragt sich und versucht nachzuvollziehen, warum Regelwerke und Gesetzgebungen bisher so wenig greifen, dass alles nur „in winzigen Schritten“ voran komme. Es fehle trotz eines erkennbaren Bewusstseinswandels und Umdenkens immer noch die Basis für den gesellschaftlichen Konsens, auf dem eine Besserstellung des Tieres in seinem Verhältnis zum Menschen fußen könnte. Goetschel berichtet über seine Erfahrungen und Erkenntnisse, legt den Finger in die Wunde, analysiert Hintergründe und macht Vorschläge zur Verbesserung im Umgang mit Tieren, in allen Lebensbereichen und Belangen.
Seine umfassende Bestandaufnahme zeigt sachlich-nüchtern und gerade deshalb schonungslos auf, was hinter den Kulissen der Lebensmittel- und Pharmaindustrie geschieht. Dort, wo das Tier als würde- und seelenloses Nahrungsmaterial verarbeitet oder als Forschungsobjekt gequält und missbraucht wird. Durch seine Fragestellungen, Thesen und Argumente, das Pro und Kontra immer berücksichtigend, schafft Goetschel ein Bewusstsein, wie es durch einige schnell anprangernde Bilder und kurze Kommentare im Fernsehen nicht entstehen kann. Es geht ihm, neben den beiden großen Komplexen Tierversuch und Massentierhaltung, auch um eine Reihe anderer Aspekte des Tierschutzes. Um die Bedingungen für Tiere in Zoo, Zirkus und zu Therapiezwecken; um Verfehlungen privater Tierhaltung, entgleiste Tierliebe und legale Überzüchtung; um die fragwürdige Begründung teilweise überkommener Formen der Jägerei.
Goetschel meint: „Man muss kein ‚sentimentaler Gutmensch’ sein, wenn man für einen ernstzunehmenden Tierschutz plädiert“. Er ist nicht der Ansicht, dass eine juristische Besserstellung des Tieres nur ein Luxusproblem unserer Gesellschaft sei. Aber immerhin eines unter anderen sozialen, gesellschaftlichen Problemen, die auf den Nägeln brennen. Es käme der Sozietät und jedem Individuum zugute, könnte sich „das Verhältnis zu unseren tierlichen Mitgeschöpfen so gestalten, dass es ihnen gerecht wird und dass wir guten Gewissens damit leben könnten“. Denn sonst könnte eine weiter fortschreitende moralische Verwahrlosung auch das Verhältnis der Menschen untereinander negativ beeinflussen. Und er bringt es auf den Punkt: „die allermeisten Verbraucher sind Teil dieses profitorientierten Systems.“
Grundsätzlich wichtig seien zwei Arten von Handlungen, wenn es um Tierschutz gehe: „das Unterlassen von etwas und das Engagement für etwas.“ Goetschel ist überzeugt, dass alleine mit dem Ansprechen der Zustände im Gespräch sich schon etwas anstoßen, auslösen oder am Ende gar bewirken ließe. Bei aller Komplexität der Sachlage macht er einfache, immer ethisch begründete Vorschläge, wie man sich in einer hoch industrialisierten Gesellschaft tiergerecht verhalten könnte und sollte. Bei allem richtet sich Goetschel auch dezidiert gegen den militanten Aktivismus einiger Tierschützer. Wie vor einigen Jahren in Tübingen geschehen, als wissenschaftliche Mitarbeiter und Büroangestellte des Max-Planck-Instituts, in dem Tierversuche unternommen werden, verbal und körperlich attackiert wurden und Todesdrohungen erhielten.
Solcher Fanatismus kann der Sache nur schaden, den gesamten Tierschutz in Misskredit bringen. Leider lässt sich gegen fundamentalistische Auswüchse kaum etwas mit Argumenten ausrichten. Wer einen Weg wie Goetschel geht, braucht einen langen Atem, Durchsetzungsvermögen und Überzeugungskraft. Und er muss den unverbrüchlichen Glauben besitzen, durch Aufklärung etwas bewegen zu können. Das hat der Tieranwalt Goetschel bereits in Sachen Tierethik und Tierschutz bewirkt, indem er als erster den Begriff der Würde des Tieres einbrachte.
Noch klafft eine zu große Lücke zwischen gesetzlicher Grundlage und der Anwendung von Gesetzen. „Wenn es um wirksamen Tierschutz geht“, so Goetschel, liegen die Positionen der Ethiker und der Praktiker oft meilenweit auseinander. Zum besseren historischen Verständnis erinnert er an das Mensch-Tier-Verhältniss als einen der Grundpfeiler unserer christlich-abendländischen Kultur, an die unzertrennliche Gemeinschaft von Mensch, Tier und Schöpfer, wie sie auch in der Erzählung von der Rettung der Lebewesen in der Arche Noah zum Ausdruck kommt. Des weiteren verweist er auf Vordenker wie den englischen Moralphilosophen und Reformer Jeremy Bentham (1724-1804), auf Arthur Schopenhauer (1788-1860), der die Verwandtschaft von Mensch und Tier betonte, und nicht zuletzt auf Albert Schweizer (1865-1965), der wesentlich zur heutigen Debatte beigetragen hat.
War in der früheren Nutztierhaltung das Tier noch eine Art Schicksalsgenosse, dem man einen Anspruch auf Wohlergehen zugestand, werden Nutztiere seit der Herstellung von Lebensmitteln in Fabriken zu bloßen Nahrungsmittellieferanten und Produktionseinheiten, die laufend zu optimieren sind zwecks günstiger Preislage. Goetschel weist darauf hin, „dass das Töten von Tieren im Grunde stets ein Frevel ist“. Das scheine dem Menschen in früheren Zeiten durchaus bewusst gewesen zu sein, „weshalb dem Töten eines Tiers in vielen alten Kulturen die Bitte um Verzeihung vorausging, an das Tier selbst, die Götter oder den Schutzgeist des betreffenden Tiers gerichtet.“ Positiv festzustellen sei, dass wir im Westen eine hohe Empathie entwickelt hätten, eine Mitleidskultur, die sich nicht nur auf unseresgleichen beziehe. So sei uns auch das Schicksal von Tieren schon seit den letzten zweihundert Jahren mehr und mehr zur Gewissensache geworden.
Heute stelle sich Angesichts des millionenfachen Leidens im Zeitalter der industriellen Billigfleischproduktion die Frage der Rechtfertigung neu und schärfer. Goetschel erspart dem Leser nicht die Skandalbilder: „Schweine eingepfercht auf engstem Raum zwischen Gittern, im eigenen Dreck. Oder Mastputen, die mit abgeschnittenen Schnäbeln und amputierten Krallen zusammengedrängt im Dunkeln dahinvegetieren. Oder Zehntausende von Kühen, vollgepumpt mit Antibiotika und Kraftfutter, kaum noch fähig, die Last ihres eigenen Körpers zu tragen.“ Hühnern und Fischen ergehe es nicht anders, wobei Fische „uns erstaunlich kalt“ lassen würden. An ihren geistigen Fähigkeiten könne es nicht liegen, wie erstaunliche Forschungsergebnisse der letzten zwanzig Jahre zeigten. Der Tieranwalt benennt einen entscheidenden historischen Punkt: „Seit der Einführung der ersten Legebatterien scheinen wir mehr und mehr zu verdrängen, dass die Produktionseinheiten von Hühnern, Schweinen und Rindern an sich Lebewesen sind.“ Wer möchte schon daran denken, wenn auf dem Teller ein leckeres Schnitzel liegt? Dass das Schwein in seinem Wesen ein geselliges, verspieltes, sensibles und intelligentes Tier ist?
Wenn es um Testverfahren mit Tieren zur Entwicklung neuer Medikamente geht, erschrecken alleine schon die Zahlen. Und erst die Fakten und Details, wie die bei Hunden künstlich ausgelösten Herzinfarkte. Die „Tierversuchsmaschinerie“ ist in vollem Gange. Goetschel fragt: „Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele Tiere in unserer unmittelbaren Nachbarschaft traktiert und/oder getötet werden für den ‚guten’ wissenschaftlichen Zweck?“ Im jährlichen Tierschutzbericht der Bundesregierung steigen die Zahlen ständig an. Als einen Fortschritt betrachtet die Wissenschaft „transgene Tiere“, das sind „Tiere, denen absichtlich ein genetischer Defekt beigebracht wird“. Der Tieranwalt Goetschel meint dazu: „Transgene Tiermodelle sind Lebewesen, und zwar solche, die tiefgreifend geschädigt wurden. Der Begriff ‚Modell’ zeigt, dass ihnen schon gar kein kreatürliches Leben mehr zugebilligt wird. Wie alles andere, entwickelt auch dieser ‚Bedarf’ seinen Markt.“ Was alleine schon durch die Kosmetikbranche zu belegen ist.
Einhellig betonen Industrie, Wissenschaft und Forschung die Notwendigkeit und Weiterentwicklung von Tierversuchen. Der Gesetzesgeber versucht das zu regulieren, doch mit wenig Erfolg. Antoine F. Goetschel hat seinen Standpunkt: „Nein, ich will, auch wenn ich schwer krank bin, von nichts profitieren, was mit dem Leid vieler Tiere erkauft ist.“ Wer so weit geht wie er, muss eben auch mit gutem Beispiel voran gehen.
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