Nachrichten aus meiner Bibliothek
Außenseiter der Moderne
Autor: | Jürgen Klein |
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Erscheinungsjahr: | 2020 |
Genre: | Essayband |
ISBN: | 978-3-941120-39-6 |
Verlag: | Shoebox House |
Rezensiert von Dominik Riedo
‹Nachrichten von Büchern und Menschen› hieß das Werk (im Untertitel) von Arno Schmidt 1961, das sich einiger eher vergessener Texte und Kollegen annimmt – wobei die Bücher gegenüber den Autoren klar im Vordergrund standen. Jürgen Klein, seines Zeichens Anglist und lange Jahre Lehrstuhlinhaber an der Universität Greifswald sowie Verleger, lehnt sich mit seinem Essayband ‹Nachrichten aus meiner Bibliothek› natürlich daran an, macht aber durch seinen Titel deutlich, dass er die Menschen mindestens ebenso hoch wertet wie deren Arbeiten – wenn nicht durch den Subtitel noch etwas höher: ‹Nachrichten aus meiner Bibliothek. Außenseiter der Moderne›.Aber im Unterschied zu den behandelten Autoren bei Schmidt wird sich natürlich manche und mancher hier bei einigen der behandelten Namen – Wolfgang Koeppen (2 Teile), Annette von Droste-Hülshoff, Heinrich Heine, Jean-Paul Sartre und Uwe Johnson – fragen, ob man da wirklich noch von Außenseiterinnen und Außenseitern sprechen könne. Doch wenn man heutige Leserzahlen dieser Bücher etwa mit den Zuschauerzahlen eines üblich-normalen Fernsehkanals oder mit dem ganzen Trump-Trara auf Twitter vergleicht, mag es einem dämmern, warum dies durchaus seine Berechtigung hat. Abgesehen davon, dass diese Textproduzenten alle irgendeinmal in ihrem Leben sehr wohl Außenseiter waren: Koeppen versuchte sich während des ‹Dritten Reichs› drei Jahre eher vergeblich als Emigrantenschriftsteller in Den Haag zu etablieren. Heine sah sich unter anderem damals und sieht sich bis heute immer wieder antisemitischen Tendenzen ausgesetzt (der heutige Heine-Preis etwa war lange Zeit ein Immermann-Preis, weil man in Düsseldorf der Nachkriegszeit keinen Juden als Namensgeber wünschte); Jean-Paul Sartre lehnte den Literaturnobelpreis ab und galt wohl wie sein geschätzter Flaubert teilweise als ‹Idiot der Familie›; und Uwe Johnson geriet mit seiner DDR-Flucht eh irgendwie zwischen zwei Fronten, von denen er sich auch negativ nie vereinnahmen lassen wollte: «Bis man uns mit einer Handvoll Erde endlich stopft die Mäuler». – Zudem sind die behandelten Autorinnen und Autoren – als Vertreterinnen und Vertreter der Moderne und eben nicht der Aufklärung ist dies durchaus nicht mehr zwingend – allesamt ‹engagierte› Literaturschaffende, die keineswegs nur Sonntagsliteratur verfassen wollten, wie sie etwa meiner Mutter behagt, sondern die mit den alten, traditionellen, autokratischen und dogmatischen Weltbildern brechen und für Gleichheit, Freiheit und Bildung eintreten.
Es schadet also keineswegs, wenn sich Klein dieser und weiterer Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Paul Nizan, Friedo Lampe, Gert Jonke, G. E. Moore und Judith Schalansky, einmal unter diesem Blickwinkel annimmt: Vor vielen Jahren kam ich auf die Idee, Essays über Bücher zu schreiben, die ich vergessen hatte, die jahrelang in meiner Bibliothek eingestaubt waren – ohne dass ich irgendetwas gegen diese Bücher gehabt hätte. Denn es geht eben wie gerade zitiert nicht um die Autoren um der Autoren willen, sondern immer um ein bestimmtes Buch aus ihrem Gesamtwerk. Das mag denn durchaus nicht das berühmteste sein: Bei Koeppen etwa ‹Amerikafahrt›, bei Heine ‹Die romantische Schule›, bei Sartre ‹Die Wörter› oder bei Johnson ‹Eine Reise nach Klagenfurt›. Vor allem aber betrachtet Klein die Bücher nicht als Germanist. Ein erfrischender Umstand. Sondern als Anglist, der deutschsprachige Literatur verlegt, in Hamburg lebt und ein Leben voller Erlebnisse und Erlesnisse hinter sich hat: Der erste Essay erschien in ‹Flandziu›, da war sein Verfasser bereits 69 Jahre alt. Einerseits. Das bekommt der Detailfülle, mit der bei allen zehn Aufsätzen argumentiert werden kann. Andererseits liest man die Texte manchmal atemlos – und sie könnten von der Frische der Argumentation teilweise auch von einem 20-Jährigen stammen.
Ich greife am besten ein Beispiel heraus: Der Beitrag zu Uwe Johnson mit dem Buch über Ingeborg Bachmann (eben ‹Eine Reise nach Klagenfurt› von 1974) lebt bei einigen Erzählbegebenheiten mit solch empörter Verve mit, nein: eigentlich vor, dass man richtiggehend die Entrüstung in den Zeilen spürt. Da, wo Johnson selbst relativ gelassen bleibt, wenn er davon schreibt, wie die ‹Inge› in ‹ihrer› ehemaligen Schule regelrecht vereinnahmt und ridikülisiert wird, weil man sie im Sekretariat etc. eben immer noch beim Mädchennamen nenne, obwohl sie im betreffenden Gebäude, in dem die Schule im Oktober/November 1973 lokalisiert ist, gar nie zur Schule gegangen ist, da spürt man, wie Jürgen Klein sich das nicht erklären kann mit einem angebrachten Respekt vor einem Menschen, der soeben in Rom bei einem tragischen Vorfall ums Leben gekommen ist. So und anders lässt einen der Hinweisdeuter eindringlich verstehen, was dieses an sich dünne Büchlein Uwe Johnsons ist: eine Elegie voller Respekt vor der Menschlichkeit Ingeborg Bachmanns. Er zeigt, wie es aufgebaut ist, wie man es lesen kann, was Johnson angetrieben hatte, es zu schreiben etc. – an sich vieles bis alles, was es braucht, um ein Stück Literatur selbst intensiv genießen zu können. Und: Dieser eine Aufsatz kann für alle anderen stehen, auch wenn nicht bei allen diese Verve mit drinsteckt. Sie ist aber auch nicht immer in solchem Maße nötig. Trotzdem macht der Essayband immer Lust, in die eigene Bibliothek/zum eigenen Büchergestell/in die nahe Bibliothek/die nahe Buchhandlung zu gehen – um ein Buch zu lesen.
Denn alles in allem will diese Sammlung von zehn klaren Abhandlungen dies zuvorderst: Dass seine Leserinnen und Leser danach zu den Werken der behandelten Schriftstellerinnen und Schriftsteller greifen; es muss ja nicht zwingend das im besprochenen Band behandelte sein. Auf dass man nicht nur die Außenseiten von Büchern betrachte, sondern auch die Innenseiten – damit sie keine Außenseiter mehr bleiben!
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