Das Flirren am Horizont

Autor:Roland Buti
Erscheinungsjahr:2014
Verlag:Nagel & Kimche


Gelesen von Katrin Züger
Ein heisser Sommer. Seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Die Hitze drückt auf die Felder, verdorrt die Ernte. Ein warmer, von glühenden Partikeln durchsetzter Wind weht von den Bergen herab. Die Insekten werden in ihren Löchern gebraten. Oder taumeln im Flug und fallen wie vertrocknetes Obst auf den Boden, unter einem Himmel so gelb wie Maispapier. Die kleinen Säugetiere – Spitzmäuse, Feldmäuse, Igel, Wiesel – sind längst verdurstet, die Schmetterlinge fortgezogen, an einen Ort, wo noch Blumen blühen. Man sitzt in einem Backofen und wird geröstet. Auf dem Hof sterben die Hühner. Die Regierung hat den Notstand ausgerufen. Aus den Seen wird Wasser abgepumpt, um es in Tankwagen in die Dörfer zu schaffen. Das Militär ist im Einsatz, um die Felder notdürftig zu bewässern und an Pflanzen zu retten, was noch zu retten ist.
Die Geräusche klingen anders als sonst, es ist keine Feuchtigkeit in der Luft, um sie zu tragen. Das dürre Gras raschelt wie Seidenpapier und zerbröselt unter den Füssen, stellenweise ist es nackter Erde gewichen. Der Zementbelag des Wegs kocht. Das Tageslicht erlischt mit qualvoller Langsamkeit. Die Sonne lässt einen Schwall Wärme zurück, der noch auf der Erde lastet. Man hört ein feines, trockenes Knistern, als ob die Felder, erdrückt von der Hitze des Tages, noch leise weiterglühten. Nachts dringt das Zirpen der Grillen schrill und traurig durch die geöffneten Fenster. Irgendwie hält nichts mehr zusammen. Die Hecke ist nicht mehr mit der Wiese verbunden, der Weg passt nicht mehr zum Himmel, der Baum sieht aus, als würde er schweben, es ist zu viel Abstand zwischen den Dingen.
Dann verändert sich der Himmel. Die Sonne ist nicht mehr zu sehen, hat sich in der Atmosphäre aufgelöst, dunkelgelb, staubgesättigt, kompakt wie Karamellsosse. Die Luft wird hart. Erste Tropfen fallen, machen ein Geräusch wie einschlagende Raketen, wirbeln den Staub auf. Donnergrollen, ein Blitzschlag, der die Wirklichkeit eine Sekunde lang in eine weisse Leinwand verwandelt. Die Gewitter zerhacken die vom langen Ausharren in der trockenen Luft ausgelaugten Pflanzen. Immer dichter wird der Regen, ein Vorhang aus Wasser, wie mit Eisenspänen gespickt. Er scheint nie wieder aufhören zu wollen, als hätten die Wolken den Belagerungskrieg gegen die Trockenheit gewonnen. Die Hühnerhalle ist zerstört. Die alte Stute Bagatelle verlässt den Stall, um im Freien zu sterben. Der Knecht wird von einem Balken erschlagen. Der Vater erwürgt fast die Freundin der Mutter, zusammen machen sie sich vom Hof. In diesem heissen Sommer entgleitet das Leben. Die traditionelle Landwirtschaft zerfällt, eine Ehe zerbricht, eine Kindheit geht zu Ende. Man taucht ein in die Hitze, die Stille, das Schweigen und die Gewissheit, dass die Katastrophe nicht aufzuhalten ist. Was war er anstrengend, dieser Sommer im Jahr 1976.