Wenn i e Rebschtock wär
Autor: | Markus Manfred Jung |
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Erscheinungsjahr: | 2020 |
Genre: | Prosaband |
Verlag: | Drey-Verlag |
Rezensiert von Klaus Isele
Manchmal können die Wege, die zu einem Buch führen, sehr lang sein… Selbst wenn dieses Buch mehr als ein Jahr lang auf Tischen lag, an die man sich mehrmals täglich setzte. Nun muss man allerdings dazu sagen, dass „Wenn i e Rebschtock wär“ nicht das Einzige war, was auf diesen Tischen abgelegt wurde. Ob das als mildernder Umstand für eine um ein Jahr verspätete Buchbesprechung gelten darf oder, im Gegenteil, die Sache noch schlimmer macht, sei mal dahingestellt.Wobei einem doch allein schon der Buchtitel neugierig machen müsste… Ich selbst habe mir zwar noch nie vorgestellt, wie es wäre, ein Rebstock zu sein, aber je länger mir der Buchtitel durch den Kopf geisterte, desto vorstellbarer wurde das für mich. Warum nicht in eine Existenz als Rebstock hinüberwechseln? Man könnte es wahrlich schlechter treffen.
Somit hatte dieses Buch schon etwas erreicht und in mir ausgelöst, ohne dass ich eine einzige Zeile davon gelesen hätte. Was würde es erst mit mir machen, wenn ich mit der Lektüre begönne, begonnen hätte?
Gleich der erste Text handelt vom Staunen, ist also eine Einladung an den Leser zur Einübung des Staunens. Gut, dass ich damit keinerlei Probleme habe, dachte ich während des Lesens. Staunen ist wie Atmen für mich. „Ich staune, also bin ich“, hätte Descartes vielleicht formuliert. Geradezu traurig mutete mich die Antwort einer Passantin an, die bei einer Straßenbefragung sagte: „Ich staune über gar nichts mehr.“ Wer das Staunen verlernt, verliert ein Stück Lebensfreude, möchte ich ihr entgegnen. Und ihr zugute halten, dass sie das mit dem abhanden gekommen Staunen lediglich als Ohnmachtsgeste gegenüber einer in Teilbereichen immer widerlicher werdenden Welt vorbrachte. Der Satz dieser Dame mittleren Alters ist übrigens einer der wenigen hochdeutschen in diesem Buch. Ich habe nämlich noch gar nicht erwähnt, dass die 83 Glossen und Satiren, die Markus Manfred Jung zuvor in der „Badischen Zeitung“ veröffentlichte, allesamt in seiner schönen Wiesentäler Mundart verfasst sind. Und so heißt denn der eingangs erwähnte Text eben nicht „Das Staunen“, sondern „S Stuune“. In weiteren Texten geht es dann ums „Sich ärgre“, ums „Stroofe“, um „de Luser“, um „di gueti alti Zit“ usw. Es geht in diesem sehr empfehlenswerten Buch auch um das Heimatland und um Europa, um Brauchtum und Sprache, um Johann Peter Hebel, das Elsass, Redewendungen, um das Paradies… ach, man kann wohl sagen: Es geht um so ziemlich alles, was uns Menschen in unserem kurzen Dasein beschäftigen kann. Ein Buch übers ganze Leben also, ein alemannisches Lebensbuch, wie es derzeit wohl nur Markus Manfred Jung schreiben kann.
Dass man ausgerechnet diesem verdienstvollen Autor den Hebel-Literaturpreis noch nicht verliehen hat, lässt mich daran zweifeln, dass die dafür zuständige Jury ihre Arbeit noch im Sinne der Preisstifter ausführt, die sehr genau definiert haben, wer diesen Preis für welche literarische Leistung im Geiste Hebels erhalten soll. Einmal mehr ein Beispiel dafür, wie Preisjurys heutzutage halbblind-selbstherrlich und engstirnig-zeitgeistbezogen an ihrer eigentlichen Aufgabe vorbeijurieren… Oder anders ausgedrückt: Wem´s in Baden-Württemberg nicht in die Jury des Schiller-Gedächtnispreises oder gar in diejenige des Büchner-Preises reicht, der dilettiert halt beim Hebel-Preis vor sich hin. Die Verleihung des Preises an Autoren wie Martin Stadler oder Sibylle Berg ist für mich nicht nachvollziehbar.
Doch zurück zu den erfreulichen Dingen: Wahrscheinlich sollte man die ebenso klugen wie unterhaltsamen Glossen und Satiren von Markus Manfred Jung nur in homöopathischer Form zu sich nehmen. Vielleicht fünf Seiten pro Tag? Die Wirkung wäre bestimmt nachhaltiger als eine allzu schnelle Lektüre. Zumal sich Dialekttexte selbst für den des südbadischen Dialekts noch Mächtigen deutlich langsamer lesen lassen als das gängige Hochdeutsche.
Am Schluss des Bandes findet sich noch ein längerer Essay über „Muettersprooch un Vattersprooch“, in dem der Frage nachgegangen wird, wie es heute um den alemannischen Dialekt steht. Nicht besonders gut…, soviel sei verraten. Umso wichtiger sind Bücher wie „Wenn i e Rebschtock wär“. Umso wichtiger sind kluge Köpfe wie Markus Manfred Jung, die sich ihrer Dialektherkunft nicht schämen oder sie gar verleugnen, sich sprachlich nicht anpassen und verbiegen lassen wollen.
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