Takeshis Haut
Autor: | Lucy Fricke |
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Erscheinungsjahr: | 2014 |
Genre: | Roman |
Verlag: | Rowohlt Verlag |
Gelesen von Klaus Isele
Frida ist Tontechnikerin. Oder poetischer gesagt: Geräuschemacherin für Filme. Der Auftrag des jungen Regisseurs Jonas, der das Geld seines reichen Vaters für seine Projekte einsetzen kann, führt sie nach Japan. Der gesamte O-Ton des Films ist mitsamt dem dafür verantwortlichen Tontechniker verschwunden, nicht mehr auffindbar. Verschwunden wie so vieles, das dieser Film thematisiert: Japan nach einer Katastrophe, leere Straßen, abgeriegelte Bezirke, ein Mann ziellos auf der Flucht, auf der Suche. Nach was? Wohin soll er noch laufen angesichts des Todes, der überall in der Luft hängt? Japans Töne und Japans Stille kann Frida nicht vom Studio in Deutschland aus rekonstruieren. Sie muss ins Land selbst reisen. Dort trifft sie einen Freund von Jonas namens Takeshi und dessen Vater, der Portier in dem Apartmenthaus ist, in dem Frida wohnen kann.
Das Buch erzählt uns Mancherlei über die Welt der Töne und Geräusche, das wir im Alltag kaum wahrnehmen, weil wir das richtige Hören weitgehend verlernt haben. Und es führt uns auch partiell in den japanischen Lebensalltag ein, in das dortige Denken, Leben und Sterben. Ja, Sterben. Denn es geht auch darum. Kurz nach Fridas Ankunft ereignet sich das Tōhoku-Erdbeben, das die Nuklear-Katastrophe in Fukushima auslöste. Rund 400.000 Gebäude wurden von den Erdstößen und Tsunami-Wellen vollständig oder teilweise zerstört, mehr als 20.000 Menschen starben. Das schlimmste Erdbeben in Japan seit Beginn der Aufzeichnungen. Gleich am ersten Tag ihrer Arbeit registriert Frida auf ihrem Aufnahmegerät einen seltsamen, niederfrequenten Ton, den sie sich nicht erklären kann. Auf der Suche nach einer Reparaturmöglichkeit kommt sie Takeshi in Kontakt. Die beiden besuchen Orte, die im Film vorkommen, und nach einiger Zeit bemerkt Frida, dass Takeshi der Hauptdarsteller in Jonas' Film ist. Sie verliebt sich ihn. Derweil in Berlin ihr Freund Robert auf sie wartet und halb wahnsinnig wird, als es zu Kernschmelzen in drei von sechs Atomreaktoren in Fukushima kommt.
Es sind also durchaus "schwere" Thema, die Lucy Fricke mit leichter Hand formuliert. Immer gut geschrieben. Trotzdem hätte das Buch ruhig um ein Viertel kürzer sein können. Aber immer wieder gibt es Textpassagen, wo die Autorin in zwei, drei Sätzen Lebenssituationen und menschliche Denkweisen kongenial auf den Punkt bringt: kondensierte Lebensphilosophie.
Auch wenn das Buch am Schluss viele Fragen offen lässt (oder gerade deshalb), liest man es gerne. Es steht damit in bester Tradition japanischer Literatur, wo – im Gegensatz zu den Werken westlicher Schriftsteller – das Ende eines Buches nicht in der Auflösung der gestrickten Erzählfäden besteht. Das Buch endet unabgeschlossen und eröffnet den Lesern dadurch die Möglichkeit, sich selbst verschiedene Varianten der Fortsetzung der Geschichte auszudenken. Es ist also ein Buch für aktive Leser. Das Lesen ist noch nicht zu Ende, wenn man auf der letzten Seiten angelangt ist.
Wer sich für Japan interessiert, für "Zwischentöne" und für die unvorhersehbar-verschlungenen Pfade des Zusammenlebens von Frauen und Männern, dem sei dieses Buch sehr empfohlen.
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