Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin
Autor: | Nina Gladitz |
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Erscheinungsjahr: | 2020 |
Genre: | Sachbuch |
Verlag: | Orell Füssli Verlag |
Rezensiert von Dominik Riedo
Ja, ich bestaune Leni Riefenstahls Olympia-Filme (1938), vor allem den Prolog und die Turmspringer-Sequenz. Etwas weniger kann ich dem Propaganda-Film ‹Triumph des Willens› (1934) abgewinnen – doch mag auch er filmtechnisch zu überzeugen. Ganz abgesehen von den Möglichkeiten, die dort dem Filmteam geboten wurden und dadurch wie ein eigenes Zeitzeugnis darstellen: Wer hat schon zuvor an Kameralifte an Fahnenstangen oder Ähnliches gedacht?Aber gerade weil ich diese Filme in der Umsetzung derart genial (ich muss es so sagen) fand – man schaue sich einmal an, wie extrem rhythmisch-passend ein Quasi-Zusammenschnitt der besten Olympia-Filmmeter im Rammstein-Video zum Song ‹Stripped› (1998) noch 60 Jahre später und sogar bis heute wirken –, hatte ich mich manchmal gefragt, wie es denn kam, dass es neben diesen beiden Beispielen eigentlich kein wirklich gutes Werk von Leni Riefenstahl mehr gab. Ihre anderen Werke, etwa ‹Der Sieg des Glaubens› (1933) oder ‹Tag der Freiheit! – Unsere Wehrmacht› waren nicht bloss ein wenig weniger gut. Sie waren im Vergleich geradezu schlecht, wenn auch der Film von 1935 einige wenige gute Szenen hat. Aber während man beim Parteitagsfilm von 1933 noch argumentieren konnte, dass es ja ihr erster einer Trilogie sei, geht das beim dritten Teil der Parteitagsfilm-Trilogie nicht mehr, also beim Film von 1935: ‹Tag der Freiheit! – Unsere Wehrmacht› kann man sich, bis auf wenige Szenen, wie gesagt, heute praktisch nicht mehr ansehen – weil es nicht bloss die nationalsozialistische Machtmaschinerie und Wehrmacht in Szene setzt, sondern weil er eben auch handwerklich wirklich schlecht ist. Wie, so fragte ich mich immer mal wieder, war so ein Zerfall der Ideen, der Bildkraft und des Rhythmusgefühls erklärbar? Und wie kam danach die Kraft wieder für die beiden Olympia-Filme von 1938? Und wie denn wäre das total Kitschige und sentimental Schlechte, auch in der Bildsprache, von ‹Tiefland› zu erklären, der wiederum nach den Olympia-Filmen entstand? Natürlich ist zumindest dieser Film unter scheinbar prekären Umständen mitten im Krieg gedreht worden; doch war bekannt, dass Riefenstahl sich eigentlich alles bestellen konnte, was immer sie wollte, auch noch im Kriegsjahr 1944, als sie in Prag drehte, und in Kitzbühel, bei der Musiksynchronisation, noch im Frühjahr 1945, unmittelbar vor Kriegsende. Und dass der Film danach erst 1954 ganz fertiggestellt wurde – obwohl es Stimmen gibt, die sagen, er sei schon vor Kriegsende fertiggestellt worden – hätte nicht unbedingt dazu führen müssen, dass das Endergebnis derart abgrundtief schlecht ist.
Es stellt sich heraus, dass es auf alle diese Fragen offenbar eine Antwort gibt. Sie kommt in Form einer Art Biographie, kombiniert mit – und ich meine diesen Ausdruck im bestem Sinne – einem Pamphlet daher: ‹Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin›. Das Ende 2020 im Orell Füssli Verlag erschienene Buch von Nina Gladitz, eine immense Recherche-Arbeit, belegt unter anderem genau das, was der Untertitel sagt: Riefenstahl war nicht das kleine unschuldig-naive Mädchen mit der piepsigen Stimme, als das sie sich nach 1945 gerne stilisierte (mit ihrer piepsigen Stimme wäre sie übrigens auch nie Filmstar geworden, wenn es in den 1920er-Jahren die so genannten Tonfilme, richtiger: die Talkies schon gegeben hätte). Im Gegenteil, sie wusste ganz genau, wie sie mit den obersten Männern des ‹Dritten Reichs› umgehen musste, um zu dem zu gelangen, was sie wollte. Und nicht nur das, sie war sogar eine Täterin, der es nichts ausmachte, Komparsen für ihre Filmarbeit aus KZs zu holen – und sie danach wieder zurückzusenden in den sicheren Tod. Aber Gladitz belegt mit vielerlei Dokumenten noch mehr: Bei Riefenstahl gilt an dem Satz, der gerne über sie gesagt wurde: «Sie war ein Genie, aber ein politischer Trottel», nicht nur der zweite Teil nicht, sondern auch der erste keineswegs. Sie war kein Genie. Sie wusste sich nur bei solchen zu bedienen, sie zu erpressen.
Gladitz geht aus vom Film ‹Das blaue Licht› (1932), dessen Geschichte heute allgemein relativ bekannt und akzeptiert ist, und der bei der Erstaufführung noch Béla Balázs als Regisseur nannte, diesen Namen aber kurz darauf in allen Einträgen durch Riefenstahl ersetzt wurde, weil Balázs Jude war. Riefenstahl selbst hatte bei dem Film zwar eine erste Idee gehabt, produzierte ihn mit und spielte die Hauptrolle, aber bei der Regie war sie doch eher Assistentin von Balázs denn eigenständige Regisseurin, wenn überhaupt – und genau darum sah Gladitz hier eine Methode vorliegen: Riefenstahl wusste sich offenbar bei Männern zu bedienen, die sie dann auch noch völlig abservierte: Balázs zum Beispiel prellte sie bei ‹Das blaue Licht› im Nachhinein um sein gesamtes Honorar, das sie ihm einfach nicht auszahlte; als er sie verklagen wollte, hetzte sie den Gauleiter Julius Streicher – Herausgeber des nationalsozialistischen Hetzblatts ‹Der Stürmer› – auf ihn, auf dass er publizistisch fertiggemacht werde.
Das, so Gladitz, sei gewissermassen nur eine Vorübung gewesen (übrigens war Riefenstahl schon nur ins Filmgeschäft gekommen, weil sich Harry Sokal, ein reicher jüdischer Bankier, in sie verliebt hatte und sie in Filmen mitspielen liess, die er produzierte). Als Riefenstahl merken musste, wie gut der Mitfilmemacher Willy Zielke (1902–1989) aus ihrer eigenen Generation war, schädigte sie ihn, nutzte ihn aus, servierte ihn ab, nur um ihn dann nochmals auszunutzen. Dadurch kam es, dass Zielke, eigentlich ein Pionier der Foto- und Filmgeschichte der zwanziger und dreissiger Jahre, der Öffentlichkeit nie wirklich grossflächig als solcher bekannt wurde.
Als Riefenstahl nämlich nach dessen erstem Film ‹Die Wahrheit› von 1933/1934, den sie bereits bestaunte, ein Jahr später in der Produktionsphase auf seinen zweiten, ‹Das Stahltier› von 1935, aufmerksam wurde, sorgte sie dafür, dass dieser Film mit einem Aufführungsverbot gebannt wurde, da sie inzwischen innerhalb des Film-Systems der Nazis weit aufgestiegen war. Denn sie fürchtete, dass sonst jemand die Genialität dieses Eisenbahnen-Film bemerken würde – und Zielke wäre dann im Fach des Dokumentarfilms möglicherweise als der um einiges Bessere aufgefallen, vielleicht sogar Adolf Hitler. Das musste sie verhindern und tat es mit der Bannung auch (verbieten durfte ein Film damals nur Goebbels selbst). Als Goebbels den Film doch noch sah, zusammen mit Riefenstahl, sorgte sie dafür, dass eine anwesende Schauspielerin absichtlich an den unmöglichsten Stellen lachte, so dass Goebbels den Film wirklich für unpassend halten musste und ihn wirklich verbot. Immerhin wurde der Film dutzendweise zu Bildungszwecken herangezogen, eine Nutzung, von der Riefenstahl offenbar nichts ahnte.
Doch war die Genialität Zielkes wie gesagt nicht mal der Hauptgrund für Riefenstahl: Sie selbst erlitt 1934, bei der Fertigstellung von ‹Trumpf des Willens›, mehrere Nervenzusammenbrüche im Schneideraum. Sie brauchte dringend die Mithilfe von jemandem, dem eine gewisse Genialität gegeben war, oder im Schneideraum zumindest Mitarbeiter, die für sie arbeiteten statt bei einem Konkurrenten. Als Zielke mal fertiggemacht worden war, konnte sie für die Fertigstellung des Reichstagsfilms ihrer Leute, die sie unterstützten, sicher sein. Niemand würde sie ihr abwerben. Aber auch das reichte ihr noch nicht. Für den nächsten Film brachte sie Zielke als Mitarbeiter bei sich unter. Wie sie das fertiggebrachte? Sie wandte eine Mischung von Drohung an – denn sie wusste über seine Homosexualität Bescheid, im ‹Dritten Reich› vor allem nach dem Röhm-Putsch eine Veranlagung, die eine sofortige Überführung ins Lager Dachau zur Folge haben konnte –, und Lockung: Er könne mit ihr, der berühmten Riefenstahl zusammenarbeiten und werde dazu noch gut bezahlt.
So band sie sich den begabten Zielke fest an sich, der ihr zwar beim grossartigen ‹Triumph des Willens› nicht mehr viel half – aber er drehte mit ihr zusammen den dritten Parteitagsfilm (worin denn die guten Szenen meist von ihm stammen) wie die beiden Olympia-Filme (bei denen er offiziell nur für die Regie beim Prolog verantwortlich war, was aber, wie Gladitz aufzeigt, nicht stimmt). Dass aber bei ‹Triumph des Willens› die besten Kamerapositionen auch nicht von Riefenstahl stammten, sondern jene Kamera am Fahnenmast etwa eine Idee von Albert Speer war, wie sie beim Schneiden sowieso aus Dutzenden Kameraperspektiven wählen konnte, die ihr geübte Kameramänner lieferten – all das belegt Gladitz in ihrem Buch auch; zudem war ja die ganze Choreographie des Reichsparteitags sowieso nicht Riefenstahls Werk, sondern das der NSDAP; vielleicht sagt auch der Verbrauch von über zwanzig Filmmetern für einen dann verwendeten Filmmeter etwas aus – denn damals galt schon das Verhältnis 1:10 als extrem schlecht).
Nina Gladitz zeigt also in etlichen Fällen auf, dass Riefenstahl ihre Filme eigentlich ihren Kameramännern verdankte – und die berühmtesten Szenen dazu noch ihren Mitarbeitern: Der Prolog der Olympia-Filme eben Willy Zielke, die Unterwasseraufnahmen (also mithin die berühmten Turmspringer-Sequenzen) dem Hans Ertl, der überdies noch das System erfand, die Kameras am Rand von Springern mitlaufen zu lassen (Katapultkamera). Doch nicht nur dies übernahmen meist andere für sie: Beim Prolog übernahm Zielke fast das gesamte Casting und wählte den Drehort aus (die Kurische Nehrung) plus er schoss dort die Werbefotos für den Film.
Und das geht dann immer so weiter: Von Zielke übernahm Riefenstahl später sogar dessen sonstigen, eher privat gemachten Fotos, die er in Griechenland mit einer teilweise revolutionären Technik aufgenommen hatte – und bereitete so ihre zweite grosse Karriere als Fotografin vor. Noch 2017 – das belegt Gladitz – wurden bei einer Ausstellung Fotos, die eigentlich von Zielke stammten, der Leni Riefenstahl zugeschrieben.
Wie ihr das gelang – und warum sich Zielke nicht wehrte? Hier kommt das Skrupellose von Riefenstahl wieder zur Geltung: Kaum hatte Zielke den Prolog fertiggeschnitten, liess Riefenstahl ihn als geistig Labilen internieren. Denn Anfang 1937 kam plötzlich der Hausarzt von Zielke zu ihm nach Hause und forderte ihn auf, mitzukommen. Sein Gesundheitszustand sei sehr schlecht, er müsse eingeliefert werden. Heute ist an sich erweisen, dass Riefenstahl alles eingefädelt hatte, damit sie wie bei Balázs die Lorbeeren der Arbeiten ihres Mitarbeiters ernten konnte. Die Belege stehen eben bei Gladitz. Zielke, der Angst gehabt hatte, erschossen zu werden und darum eventuell einen Geisteskranken spielte, damit man ihn verschonte, wurde dann als Schizophrener diagnostiziert und als solcher im Deutschland der Nazis gegen seinen Willen sterilisiert, eine Operation, die ihn psychisch völlig zerstörte – und die ihm kurz vor seinem Tod gerade mal 5000 DM Genugtuung von der BRD brachte (eine erste Forderung kurz nach dem Krieg wurde noch abgelehnt). In dieser Zeit war es auch, dass sie sich von Zielkes erster Frau die Fotografien aus Zielkes Hand geben liess und sich damit und der frechen Behauptung, das seien ihre Bilder, die Urheberrechte stahl.
Aber hier endet die Geschichte keineswegs. Als Riefenstahl bei den beiden Olympia-Filmen trotz grossartig eingefangener Bilder ihrer Kameramänner im Schneideraum völlig überfordert war und wiederum mehrere Nervenzusammenbrüche erlebte, fuhr sie zehn Tage nach der zwangsweisen Sterilisation zu Zielke in die Klinik. Dem musste dieser Zeitpunkt zwar vorkommen wie blanker Hohn; denn die einflussreiche Filmemacherin war von Zielkes Frau darüber informiert worden, was und wann mit ihren Ehemann geschehen sollte. Aber das kümmerte sie nicht mal, sondern sie wusste vermutlich, dass dies ihr dienen konnte. Solch ein erzwungener Eingriff bei jemandem, der eigentlich Kinder haben wollte (Zielke sprach deshalb auch von einer ‹Hinrichtung›, eben jene seiner ungeborenen Kinder), musste die Person labil und damit knetbar machen. Also ging sie erst nach der Sterilisation zu ihrem wichtigsten Mitarbeiter und liess ihren Einfluss spielen.
Denn wie sie dessen Hilfe gebrauchen konnte: Seit den Dreharbeiten war beinahe schon ein Jahr vergangen und der Film war immer noch nicht fertig. Sie schlug sich mit 400'000 Metern Film herum und musste sowohl die Finanzbehörden beruhigen, da das alles immer mehr kostete, wie auch Goebbels, der langsam glaubte, Riefenstahl schaffe das alles nicht mehr. Doch Riefenstahls eigentlich mangelhafte Erfahrung und ihre Stümperhaftigkeit zwangen sie zu langsamer Arbeit, und ihre Morphiumsucht zwang sie zu ungewollten Pausen. Die Arbeit wuchs ihr über den Kopf.
Zielke wäre da genau der richtige Mann gewesen: Er war beim Drehen dabei und war ein hervorragender Cutter. Ihm konnte sie zutrauen, den Film zu beenden und sich nur noch als quasi Supervisorin zu betätigen. Doch der vertraute ihr nach der erhofften, aber nie eingetretenen Rettung vor der Zwangsvasektomie nicht mehr und sagte zu ihrem Entsetzen ab. Es blieb ihr nichts anderes übrig als sich auf ihre anderen Mitarbeiter zu verlassen. Denn mehr als die Rolle einer Supervisorin vermochte sie vor allem in den letzten Wochen der Arbeit nicht mehr zu leisten.
Zielke hingegen sollte – sie gab nicht auf – bei ‹Tiefland› wieder für sie drehen. Der Film, dessen Drehbeginn 1940 war, sollte der Höhepunkt deutscher Filmkunst werden. Aber auch hier sagte Zielke zunächst ab, bis es Riefenstahl so weit gebracht hatte, dass Zielke vermutlich als so genannter Geistesgestörter (Diagnose Schizophrenie) euthanasiert werden sollte, worauf sie es natürlich vor lauter Todesangst doch noch schaffte, ihn zu bekommen. Er half ihr in den letzten Drehtagen von ‹Tiefland› und vor allem beim Schnitt. Dies von 1942 bis Anfang 1945, als er zu krank war und vor lauter Hunger (während Reifenstahl Skifahren gehen konnte) Ödeme entwickelte – da presste ihn seine zukünftige zweite Frau aus den Fängen dieser Gestörten.
Willy Zielke war also der Cutter der bei Kriegsende zerstörten Version von ‹Tiefland›. Denn wie Nina Gladitz akribisch und überzeugend herausarbeitet, muss ‹Tiefland› in der ursprünglichen Fassung ein Film gewesen sein, der schlimmer noch als ‹Jud Süß› die Juden verfemte. Offenbar sollte Riefenstahl mit ihren etwa 40 Jahren ein 14-Jähriges Zigeunermädchen spielen, das – da laut Heinrich Himmler gewisse Sinti und Roma eben tatsächlich als Arier zu betrachten seien – von einem Juden vergewaltigt würde. Sie entkommt dem allem aber und darf am Ende in eine Art arisches Paradies einziehen, quasi das neue Deutschland, wie es Hitler vor Augen stand.
Allerdings ist der Film heute ein anderer. Leni Riefenstahl hat – als die Alliierten sich ihrem Haus näherten, Tausende Meter Film verbrannt, wie vielfach bezeugt ist. Der Film ‹Tiefland›, dem damit grosse Teile fehlten, musste neu geschnitten werden und ist heute so oder so nur noch ein Relikt. Aber auch die verblieben Meter sind eine Katastrophe.
Eigentlich ist ‹Tiefland›, bei dem Riefenstahl sieben Millionen Reichsmark zur Verfügung standen plus unbegrenzt Komparsen und Mittel, dazu hatte sie absolut freie Hand, ‹Tiefland› also ist der Film, an dem sich die Regisseurin und Schauspielerin messen lassen müsste – und das Resultat ist in beiden Fällen niederschmetternd. Wenn diese Bilder von ihr stammen, da sie hier ausser in einigen verbrannten Metern Film weder Zielke noch einen anderen versteckten Regisseur hatte und auch der Neuschnitt von ihr war, stammt hier also praktisch alles von ihr. Ergo hier und bei ‹Sieg des Glaubens›, der deutlich schlechteste Film der Parteitagstrilogie, hatte sie keine oder keine grosse Hilfe. Und beide sind filmisch unglaublich schlecht. In allen anderen Fällen jedoch, vor allem aber bei ‹Triumph des Willens› und den beiden Olympia-Filmen, stammten grosse Teile der eingefangenen Bilder gar nicht von ihr, also auch nicht die Idee dazu. Sie dirigierte nicht wie sonst Regisseure die Kamera oder sagte, was man wie noch gut aufnehmen könnte. Sie schnitt diese Filme vor allem zusammen – was immer noch eine unglaubliche Leistung wäre –, aber auch dann stammen grosse Teile vor allem der Olympia-Filme nicht von ihr (bei ‹Triumph des Willens› klagte später ein anderer Mitarbeiter von ihr, sie habe seine Arbeit ausgebeutet). Nein, Riefenstahl, die war offenbar nie eine wirklich grossartige Regisseurin. Und da sie für ihre zweite Laufbahn als Fotografin ebenfalls – wie oben beschrieben – vieles bei anderen effektiv gestohlen hatte, war sie auch hier auf etlichen Gebieten ihres ihr zugeschriebenen Werks ebenfalls nicht jene, die sie vorgab zu sein.
Zudem hatte sie Glück, dass die Amis am Ende des Zweiten Weltkriegs einem eher traditionellen Rollenbild verhaftet waren. Sie hielten sie für eine naive Frau und Mitläuferin, während Frankreich sie eigentlich in Nürnberg anklagen wollte. Und nach Gladitz wäre das auch zu Recht geschehen. Sie belegt, dass Riefenstahl in Zoppot bei einem Treffen dabei war, bei dem es um das Vorgehen im Falle geistig Behinderter ging, also wie man in der so genannten Aktion T4 vorgehen könne. Sie hat also nach Kriegsende durchaus gewusst, wie zumindest 300'000 Menschen umgekommen sind. Kommt dazu, dass sie für ihre Komparsen nie etwas getan hat. Andere Filmemacher haben am Ende des Krieges versucht, mit erfundenen Filmprojekten möglichst viele KZ-Insassen als nötige Statisten zu retten. Dies interessierte Riefenstahl nie. Sie drohte im Gegenteil einigen Statisten damit, sie sofort ins KZ zurückzubringen, wenn sie nicht kuschten.
Nina Gladitz kommt am Ende zur Erkenntnis: «Sollte Riefenstahl je ein geniales Talent besessen haben, dann bestand es darin, andere zu betrügen, zu bestehlen und alle Welt darüber zu belügen, wer sie tatsächlich war.» Und weil ihr noch bei ihren Memoiren nicht in den Sinn kommt, wenigstens für gewisse ihrer Mitarbeiter Trauer zu empfinden, und weil sie eigentlich in ihrem Leben alle um sich herum immer wieder ausgenutzt hat, und weil sie, als einige der Sinti-Komparsen sie später vor Gericht brachten, ganz erstaunt fragte, warum sie ihr, der Frau Riefenstahl, das antäten (!) – weil all das sich abspielte, darf man also wohl schliessen, dass Leni Riefenstahl eine Psychopathin war, völlig unfähig, Empathie zu empfinden.
Und so gibt es eigentlich nur eine Genugtuungsaktion, die aufgegangen ist: Das Bild (siehe https://muenchner-feuilleton.de/2021/02/01/leni-ri efenstahl-die-biografie-von-nina-gladitz), das Helmuth Newton, selber Jude, 2002 zu ihrem 100. Geburtstag aufnahm, inszeniert Riefenstahl als blinde Frau, die nichts sieht (bezieht sich auf ihre schlechten Filme), nichts sehen will (bezieht sich auf ihr Leugnen dessen, was sie alles gewusst hat über die Machenschaften der willigen Vollstrecker Hitlers) und als total blind vor Eitelkeit (wie sie am Ende als 42-Jährige ein 14-jähriges Mädchen spielte), das Gesicht pudernd und zu überdeckend versuchen, was nicht mehr zu überdecken ist (fachlich und politisch), nur noch ihre eigene Legende hinter sich, als Bild von ihr aus frühen Jahren.
Und Nina Gladitz erledigt nun endlich den Fall Riefenstahl.
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