Sedimente der Zeit

Autor:Peter Frömmig
Erscheinungsjahr:2022
Genre:Prosaband
Verlag:Pop Verlag


Rezensiert von Matthias Ulrich
Peter Frömmig hat in seinem Buch "Sedimente der Zeit – Essays und Erzählungen" einen bunten Reigen von Texten zur und über die Literatur vorgelegt. Geschichten und Essays, sympathische Bekenntnisse, Erzählungen aus seinem Leben. Literatur als Lebensmittel, Lebensbegleitung. Er schreibt wie von einer Reise, auf der er unterwegs war und mit innerer Freude davon berichtet. Die Sprache ist klar und mit reflektierenden Zwischentönen. Er will nicht glänzen, er will davon erzählen, wie Literatur und vor allem Dichtung sein Leben begleitet, ja bestimmt hat. Das ist klug und trefflich. Und wie sehr er auf diesem Weg Abenteuer erlebt hat, von denen er mit Hingabe spricht und mit Engagement, durchaus naiv manchmal, das überzeugt. Gattungen sind ihm nicht wichtig und so mischt Peter Frömmig in seinem Buch die Textformen und schichtet die Erfahrungen wie Sedimente aufeinander.
Der Band beginnt mit einem Text über Brücken und welche Bedeutung sie in Frömmigs Leben hatten, wie sehr ihn Brücken faszinierten. „Wäre ich Ingenieur geworden, hätte ich mich am liebsten dem Bau von Brücken gewidmet.“ In der biographischen Erzählung „Fluchtwege“ geht es um die Geschichte seines Vaters, der vom DDR-Regime zum Spitzel gemacht werden sollte und der sich diesem Judasamt durch Flucht entzog. Die Sprache bleibt nüchtern, zugleich präzise und ohne Schnörkel, er erzählt so, dass ihm der Lesende gerne folgt. Die Geschichte seines Vaters ist eindrücklich und zugleich auch eine gesamtdeutsche Erzählung. Ein Roman auf elf Seiten.
Peter Frömmig hat viel in seinem Leben gesehen, er hat in Berlin, in Wien und sogar in den USA gelebt, wohin er mit seiner Lebensgefährtin Lee Ann gezogen war und dort vor allem als bildender Künstler wirkte, der Kunst- und Museumsleute auf sich aufmerksam machte und wo er sich mit einer Kunst- und Poesieszene verband, die ihn zum (deutschen) Künstler machte. Der Witz und das Uneigentliche der US-Szene waren neue Erfahrungen, die der deutsche Maler und Dichter so nicht kannte.
In seinem Buch finden sich zahlreiche Porträts von Dichtern und Freunden, die er im Literat veröffentlicht hat. Eine besondere Sympathie gehört dabei Christoph Meckel, mit dem er korrespondiert hat und der ihm ein kollegialer Freund wurde. Einfühlsam Frömmigs Text über den Besuch Christoph Meckels bei Marie Luise Kaschnitz, die mit dem damals jungen Dichter korrespondiert hatte. Peter Frömmig fühlt sich in diesen Besuch ein, er folgt Christoph Meckel, der durch seinen ersten Gedichtband "Tarnkappe" und seine gleichzeitig veröffentlichten Radierungen in den 50ern bekannt wurde. Marie Luise Kaschnitz schrieb dem jungen rimbaudhaften Dichter und lud ihn ein, sie in Bollschweil/Baden zu besuchen. Diese besondere Begegnung wird einfühlsam nachgezeichnet und ist ein Text über einen Text von Christoph Meckel. Fasziniert hat ihn daran das Besondere dieser Freundschaft, weil Frömmig selbst ein Dichter ist, für den Freundschaften und Gefährten ein Teil seiner Lebenspoesie waren und sind. Peter Handke und Robert Walser auch Dichter, denen er Aufsätze gewidmet hat, erratische Fürsichpoeten der literarischen Zeit. Ihre Sensibilität und ihr Sprachgefühl sind für ihn absolute Literatur, die er in ernstem Ton zelebriert, vielleicht etwas zu ernst.
Ein bekennender Poet aber ist Peter Frömmig, lesen und schreiben sind Lebensmittel, die ihn interessiert und neugierig halten. In seinen Essays, in denen er auch das eigene Ungenügen fasst, ist die schöne Haltung zu finden, die Lars Gustafson zu seinem literarischen Leitspruch gemacht hat: „Wir geben nicht auf, wir fangen wieder an.“