Abschied vom Feuer

Autor:Norbert Sternmut
Erscheinungsjahr:2023
Genre:Gedichtband
Verlag:Geest-Verlag


Rezensiert von Peter Frömmig
Was unter dem programmatischen Titel „Abschied vom Feuer“ zusammengefasst ist, geht über einen gewöhnlichen Gedichtband hinaus. Es ist ein konzeptionelles Werk – vielleicht ein Opus magnum. Norbert Sternmut ist ein ausgeprägter und überzeugender Lyriker mit einer eigenen Sprache, einem eigenen Ton. Wie er das Motiv des Feuers zugleich metaphorisch und konkret über die drei Teile seines neuen Buches auf jeweils unterschiedlichen Daseinsebenen umkreist, behandelt und durchdringt, ist sehr beeindruckend. Hier ist ein Lyriker ganz in seinem Element. Sternmut setzt vor allem auf den freien Vers und die ungebundene Form. Die Gliederung dieses großen lyrischen Spektrums ist einleuchtend, sehr gut gewählt sind die einzelnen Überschriften der Kapitel: „Glutnester“, „Rauchzeichen“, „Brandwunden“. Der Buchtitel „Abschied vom Feuer“ geht hervor aus dem Gedicht „Schwerelos“: „Im Gleichgewicht der Massen / schwebt es sich leicht / im Raum, schwerelos / das Anlitz der Erde / zum Abschied vom Feuer, / leicht und offen, braucht es / keine Schwerkraft, / keine Gewalt, hält / der Friede die Waage.“
Im ersten und längsten Teil des Buches geht es vor allem um das Feuer der Liebe und Leidenschaft, des intensiven erotischen, körperlichen und existentiellen Erlebens. Das erinnert an frühere Gedichtbände von Norbert Sternmut. Aber auch dieses Feuer kann verzehrend sein. In seinem Gedichtband „Sonnwend“ von 2014 stehen die Verse: „Die Liebenden / aus den Flammen gerettet...“ Die Ansprache ist auch hier gerichtet an eine Muse, die namenlos bleibt. Die Gedichte sind reich an Sprachbildern, Metaphern und Komposita. Doch sind die kleinen lyrischen, gleichförmigen und ziemlich hermetischen Einheiten bisweilen etwas zu sehr gesättigt davon, was Klarheit und Einprägsamkeit mindern kann. Aber vielleicht täuschen die Unterteilungen, denn wenn man über die einzelnen Titel des großen, ausschweifenden Kapitels von nahezu achtzig Seiten hinwegsieht, ist auch ein poetischer Fließtext vorstellbar. Oder zumindest eine Gliederung in einzelne Zyklen, wie es auch im weiteren Verlauf des Bandes vorkommt.
Im zweiten, mittleren Teil wagt sich Norbert Sternmut vor zu den brennenden Themen unserer Zeit und ihrer „Rauchzeichen“. Es sind die auch uns in Mitteleuropa immer näher rückenden Kriege, die zivilisatorischen Rückschritte der Menschheit, die Zerstörung des Ökosystems und damit unserer Existenzgrundlagen. Im Eingangsgedicht „Der Tierforscher“ steht: „Der größte Feind des Tieres ist der Mensch.“ Wie wahr. Aber der Mensch ist auch der größte Feind des Menschen. Die Folge der Gedichte und kleinen Gedichtzyklen zeigt es schonungslos auf: Krieg heißt Feuer, das Feuer wird eröffnet, da wird aus allen Rohren gefeuert, unter Feuer genommen, da steht der Gegner im Dauerfeuer, da wird vernichtet, wo es nur geht. Ohne Rücksicht auf Leid und Verluste. Naheliegend ist hier, an den Prometheus der griechischen Sage zu denken. Als Feuerbringer und Lehrmeister ist Prometheus der Urheber der menschlichen Zivilisation in ihrer männlich dominierten Ausprägung. Für einige Fortschrittsoptimisten stellt er eine Allegorie der sich emanzipierenden Menschheit dar. Zivilisationskritiker hingegen halten den „prometheischen“ Impuls für zwiespältig oder fragwürdig und problematisieren den Drang des Menschen zu möglichst schrankenloser, gottähnlicher Macht. Sternmuts „Abschied vom Feuer“ kann auch verstanden werden als ein Abgesang des Fortschrittsglaubens.
Im letzten Teil ist es überraschend, wie Norbert Sternmut mit ungewohnt offenem Visier autobiographischen Rückblicken in Gedichten kritisch und klar Gestalt verleihen kann. „Brandwunden“ lautet hier die Überschrift, was die Verletzungen meint, ohne die kein Mensch ins Leben geht. Auch sind es die kleinen Brennpunkte des Zeitgeschehens, wie sie unlösbar sind vom persönlichen Erleben der Einzelnen. Die Beispiele sind exemplarisch, existentiell und elementar. Porträtiert sind nahe Verwandte, der Vater, Bruder und Schwester. Das alles ist hier unverstellt, verständlich und einprägsam dargestellt, und kann sehr nahe gehen. Dass man aber selbst hier auf Manierismen wie „Psalmengewirr“ oder „Pupillengeschwader“ stößt, verwundert. Komposita sind schon immer eine besondere Vorliebe von Sternmut gewesen. In diesem Themenkreis, der die eigene Herkunft unmittelbar betrifft, ist es von Vorteil, dass der Lyriker sich sprachartistisch zurücknimmt. Norbert Sternmut ist auch ein beachtlicher Maler abstrakter Bilder in kräftigen Farben, und an Farbigkeit mangelt es auch seinen Gedichten nicht. Er bleibt auch da bildhaft und anschaulich in den Verdichtungen gelebten Lebens. Es ist eine Lyrik, die weniger besingt als beklagt.
Das Buch hinterlässt insgesamt einen starken Eindruck, es hat gewiss Beachtung und Aufmerksamkeit verdient. Doch die Leserinnen und Leser vor allem solcher Lyrik wollen heute erst einmal gefunden werden.