Die Erbschaft
Das schwarze Herz der Zahlenwelt
Autor: | Peter Blickle |
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Erscheinungsjahr: | 2024 |
Genre: | Roman |
Verlag: | Kröner Edition Klöpfer |
Besprochen von Klaus Isele
Den 35-jährigen Daniel Dorner könnte man als Schöngeist bezeichnen, dem das Schreiben von Gedichten wichtiger ist als eine berufliche Karriere oder ein konventionelles Leben als Ehemann, Familienvater, Durchschnittsbürger. Seinen unregelmäßigen Lebensunterhalt verdient er als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache in Berlin, wo er in einer 34 qm-Einzimmerwohnung, ohne Balkon, lebt. Ausgerechnet ihm (und nicht seiner Mutter oder Schwester) hat sein Onkel Johannes, der als eingefleischter Junggeselle in den USA verstorben ist, wo er 30 Jahre lang als Professor an einer Universität in Michigan wirkte, sein gesamtes Vermögen vermacht. Mehr als eine Million Dollar.Daniel fliegt in die USA und bezieht das Haus seines Onkels, das zwar alt, aber intakt ist und idyllisch an einem kleinen See liegt, nur drei Kilometer von der Universität entfernt. Damit beginnt ein innerer Veränderungs- und Entwicklungsprozess. Weil Daniel nie viel Geld besessen hat, musste er sich über die Mechanismen der Finanzwelt bislang nie Gedanken machen bzw. lehnte sie als verwerflich ab. Onkel Johannes wiederum hatte sein Vermögen vor allem mit geschickten Aktientransaktionen gemacht. Sein Neffe beginnt nun, sich in die Welt der Zahlen und Geldströme einzuarbeiten, und landet ganz schnell beim Problem, ob man als deutscher Gutmensch Geld mit Aktien von Firmen wie BP, Amazon oder Facebook verdienen dürfe. Was wiegt schwerer: das gute Gewissen hinsichtlich des Weltzustandes oder die eigene finanzielle Absicherung für die nächsten zwei, drei Jahrzehnte?
Dieses knifflige Thema zieht sich durch das ganze Buch. Genauso wie die Frage, ob Daniel das traumhafte Haus am See verkaufen oder dem Landschaftsschutz schenken solle, um dadurch die amerikanische Erbschaftssteuer wesentlich zu verringern.
Einmal von den Verlockungen der Finanzwelt angefixt sowie vom eigenen Ehrgeiz, die beträchtlichen Erbschafts- und Anwaltsgebühren zu reduzieren, beginnt sich in Daniels Leben alles ums Geld zu drehen. Geld macht innerlich groß oder klein. Geld macht frei oder abhängig. Versteht, wer nichts vom Geld versteht, auch nichts vom Leben? fragt er sich.
Wie bei vielen großen Romanen ist die reine Handlung in „Die Erbschaft“ von Peter Blickle wenig abwechslungsreich, manchmal geradezu eintönig: Daniel betrachtet von seinem Haus aus die großen alten Bäume, die Rehe, die nur wenige Meter von ihm entfernt vorbeilaufen, die Blue Jays, Belted Kingfisher oder Red-tailed Hawks, die um sein Haus fliegen, die Schwäne auf dem See, er trinkt Two Hearted Ale, ein Bier, auf dessen Etikett eine Forelle mit weit geöffnetem Maul durchs aufgewühlte Wasser schwimmt, fährt mit dem alten Honda Accord des Onkels durch die Stadt und wartet darauf, dass sämtliche Erbschaftspapiere endlich unterschriftsreif sind und das Geld bereit ist für die große Transaktion nach Deutschland. Doch Amerika wäre nicht Amerika, wenn alles glatt laufen und dem Naivling aus good old Germany keine miesen Tricks aufgetischt würden, die seine Erbschaft systematisch schrumpfen lassen.
Deshalb entwickelt dieser Roman letztlich doch eine große Spannung, die einem beim Lesen nicht mehr loslässt. Man fühlt und leidet mit dem Protagonisten Daniel mit, möchte das Buch am liebsten in einem Rutsch lesen, um zu erfahren, wie er sich in dem Schlangennest von Anwälten und US-Steuergesetzen schlägt. Dass die Lektüre dieses Buches ein großer Genuss ist, liegt auch an der eleganten, zuweilen sehr poetischen Sprache, die Peter Blickle vor uns Lesern ausbreitet, in der wir uns aufgehoben und an die Hand genommen fühlen können. Hier ist ein Meister seines Fachs am Werk. Beeindruckende Landschaftsschilderungen wechseln sich ab mit philosophisch-psychologischen Exkursen über Zahlenströme und die Sitten (oder Unsitten) der globalen Finanzwelt. Endlich mal ein Schriftsteller, der über ein wirklich weltbewegendes Thema schreibt, keine ausufernde Innerlichkeitsprosa oder das x-te Abgejammere über verzwickte Beziehungsprobleme. Ein anspruchsvoller transatlantischer Roman, am Puls der Zeit horchend, in die Finsternis des Aktienhandels und Geldscheffelns blickend, geschrieben von einem ebenso gebildeten wie sprachsensiblen Autor.
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