Erinnerung an den Zukunftsforscher Robert Jungk



Von Peter Frömmig
"Von seiner Ausbildung her Historiker, bestand er als unverbesserlicher Optimist darauf, dass die Menschheit von den Desastern der Vergangenheit lernen und einer besseren Zukunft entgegengehen würde." (Walter Spielmann)

Er war seiner Zeit weit voraus. Seinem Sohn, dem Schriftsteller Peter Stephan Jungk, hatte er versprochen, „mindestens 120 Jahre alt zu werden“. Mit vielen seiner Prognosen sollte er recht behalten, doch darin hat er sich leider getäuscht. Wer war Robert Jungk? Ein Avantgardist des ökologischen Denkens, ein beharrlicher Mahner vor den Gefahren technologischer Auswüchse und maßloser Ausbeutung unserer Ressourcen, einer, der Visionen hatte und Mut machen konnte. Sein Denken und Handeln haben bei Mitstreitern und Nachfolgern tiefe Spuren hinterlassen. In „Zukunftswerkstätten“, durch ihn begründet, wird seine Überzeugung, dass Zukunft zwar nicht voraussehbar, aber doch gestaltbar ist, aufrecht erhalten. Robert Jungk schwebte ein „Sonnenzeitalter“ vor, in dem es zu einem neuen Verständnis des gemeinsamen Erbes unserer Welt, einem politischen Gleichgewicht zwischen Macht und Mitbestimmung, einem übergreifenden, höheren Sinn des Daseins kommen würde. Die Ansätze, die heute in diese Richtung weisen, hat er durch Reden und Publikationen, durch vielfältige Aktivitäten angeregt und beeinflusst.
Als Sohn jüdischer Theaterleute wurde Robert Jungk 1913 als in Berlin geboren, er starb 1994 in Salzburg. Bis ins hohe Alter blieb er tätig als Publizist, Sachbuchautor und politisch engagierter Vordenker zu Fragen der Zukunft. Für sein nachhaltiges Wirken wurde er 1986 mit einem alternativen Nobelpreis geehrt. „Heller als tausend Sonnen“ von 1956, eine Reportage über die Entstehung der Atombombe, ist Roberts Jungks einziges, noch in Druck befindliches Werk. Dabei waren seine einst höchst populären, brisanten und immer noch aktuellen Bücher, darunter „Die Zukunft hat schon begonnen“ (1952), „Der Atomstaat“ (1977) oder „Menschenbeben“ (1983), allesamt internationale Bestseller. Nach den Ereignissen in Fukushima hat sich sein Sohn Peter Stephan gemeinsam mit Walter Spielmann, einem Freund und Weggefährten Robert Jungks, vergeblich darum bemüht, dass das Buch „Der Atomstaat“ wegen seiner bestechenden Aktualität wieder aufgelegt wird. Der Sohn erklärt es durch die Abwesenheit der „Medienpersönlichkeit“, die sein Vater darstellte: „Sowohl bei Vorträgen als auch im Radio oder Fernsehen war er so präsent und charismatisch vorhanden, dass mit seinem Ableben auch seine Stimme verstummt ist. In dem Moment, wo er seine Warnungen und Visionen nicht mehr selbst vortragen und in die Welt hinaus rufen konnte, wurde er kaum noch wahrgenommen.“
Die Anziehungskraft des eher kleinen, mit schweren, doch großen Schritten sich fort bewegenden Mannes war in der Tat gewaltig. Dabei blieb Robert Jungk im Umgang mit Menschen immer einfach und nahbar, freundlich und zugänglich. Jahrelang waren wir Nachbarn in der Steingasse in Salzburg gewesen. Ich sehe noch, wie er mir langsamen Schrittes, in das Mikrophon seines Kassettenrekorders sprechend, unter den Platanen am Uferweg der Salzach entgegen kommt. Auf diese Art pflegte er seine Vorträge vorzubereiten. Er unterbrach sich und blieb stehen, als er seinen jungen Nachbarn erkannte, und wir kamen ins Gespräch. Vermutlich teilte er mir mit, worauf er sich gerade vorbereitete, was ihm auf den Nägeln brannte. In der Anti-AKW-Bewegung war Robert Jungk von Anfang an in den vordersten Reihen zu finden gewesen. Er begleitete diese Proteste mit der Kraft seiner Persönlichkeit und dem Gewicht seiner Popularität. So auch den Widerstand gegen den geplanten Bau eines Atomkraftwerks in Wyhl am Kaiserstuhl, der richtungweisend und siegreich sein sollte. Nicht zufällig kam Robert Jungk Anfang der 1980er Jahre zu einem Vortrag nach Freiburg. Hier, wo ich mich nach langjährigem Aufenthalt in den USA und der Rückkehr nach Deutschland gerade erst niedergelassen hatte, kam es zu einem Wiedersehen.
Die Plakate mit seinem sympathischen, unverkennbaren Konterfei waren in der Freiburger Innenstadt verteilt, auch in der Badischen Zeitung wurde das Erscheinen von Robert Jungk groß angekündigt. Ich fuhr mit der Straßenbahn nach Freiburg-Littenweiler und fand mich in der Pädagogischen Hochschule in einer riesigen Menschenmenge wieder. Die Aula quoll über, mit Mühe fand ich noch einen Durchschlupf. Es waren zumeist junge, ganz junge Menschen, die den bedachtsamen, ruhigen und eindringlichen Worten des Redners gebannt lauschten. Nach dem Vortrag verließ Robert Jungk das Podium und tauchte unter in der Menge. Als ich gerade in dem Gedränge versuchte nach draußen zu kommen, stand er auf einmal vor mir; ich konnte es nicht fassen. Nach der Begrüßung und als Antwort auf meine Verblüffung sagte er: „Ich habe Sie gleich erkannt!“ Er fragte, was ich in all den Jahren getrieben hätte und erzählte voller Stolz von seinem Sohn, der als Autor bekannt geworden war. Dass ich in den Vereinigten Staaten mangels nicht anwendbarer Muttersprache, aber auch aus Neigung umgesattelt hatte zur Kunst, jetzt mich aber wieder intensiv dem Schreiben widmete, erinnerte ihn an seinen Freund Peter Weiss, der sich auch zwischen Kunst und Literatur bewegt hatte.
Robert Jungk hegte ein besonderes Interesse für künstlerische Menschen. Es gehörte zu seinen Überzeugungen, dass neben politischen Aktivisten und innovativen Wissenschaftlern gerade auch die Künstler dank ihrer Kreativität und Sensibilität zur Mitgestaltung einer besseren, friedlicheren Welt beitragen könnten. Durch seine Eltern war er in Berlin sozusagen in Künstlerkreisen groß geworden, hatte er in sich selbst das Schöpferische verspürt, zu filmen begonnen. Nach der Emigration 1933 studierte er an der Sorbonne in Paris. Bis 1957 hielt sich Jungk, der immer auch ein großer Reisender war, unter anderem in Spanien, in der Schweiz und in Kalifornien auf. Mit seiner Frau und seinem Sohn Peter Stephan, 1952 in Santa Monica geboren, übersiedelte er schließlich nach Österreich, wo er zunächst in Wien, dann ab 1970 und bis zu seinem Tod in Salzburg lebte. Was Robert Jungk zeitlebens antrieb, liegt eindeutig in seiner Biographie begründet. Viele, die ihm nahe standen, kamen in den Konzentrationslagern des Dritten Reiches um, so auch beinahe die gesamte Verwandtschaft seiner Ehefrau Ruth.
Sicher hat auch ihn und seine Familie der Vorfall beschäftigt, der sich noch zu seinen Lebzeiten in der Steingasse ereignete. Neben dem Haus Nr. 45 lässt ein Garagentor nicht vermuten, dass es sich um den Zugang zu einem Luftschutzstollen im Kapuzinerberg handelt. Zum Abtransport des herausgesprengten Materials waren damals KZ-Häftlinge eingesetzt worden. Und in selbigem Stollen suchte nun fast ein halbes Jahrhundert später ein Obdachloser Unterschlupf. Durch einen heimlichen Zugang, den er entdeckt hatte, schmuggelte er einige Gegenstände und richtete sich wohnlich ein. Erst als er ertappt wurde und der Fall durch die Presse ging, wurde die Bevölkerung wieder an die Vergangenheit dieses Ortes erinnert. Geschichte ist überall und manchmal auch sehr überraschend wieder präsent.
In der Steingasse, im Obergeschoss eines direkt an den Fels des Kapuzinerberges gebauten Hauses, war die Residenz der Familie Jungk. Ein gastfreundliches Haus, die Prominentenfamilie fügte sich gut ein in die Gasse, wo Robert Jungk auch seine erste „Zukunftswerkstatt“ eröffnete. In seinen letzten Lebensjahren, bis zu seinem Tod am 14.7.1994, lebte er in diesem Haus in der Nähe des Steintors. Salzburg verdankt ihm auch die Internationale Bibliothek für Zukunftsfragen, die er privat stiftete. Das hier im Mittelpunkt stehende Thema war die Auswirkung des technischen Fortschritts auf Mensch und Natur. Jungk gehörte zu den bedeutendsten Pionieren der internationalen Umwelt- und Friedensbewegung. Bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich 1992 trat er als Kandidat der Grünen Alternative an und erhielt immerhin 5,7 Prozent der Stimmen. Doch Robert Jungk war ein Weiser, ein Vordenker, für den die Zeit noch nicht reif war. Zwar war er volksnah, doch ein Volksvertreter sein zu können, ist etwas anderes. Zu sehr war ihm daran gelegen, hierarchische Strukturen und das Herrschaftsdenken zu überwinden, ein neues Verständnis für das Zusammenleben der Menschen im technologischen Zeitalter zu wecken.
In seinem Sachbuch „Heller als tausend Sonnen. Das Schicksal der Atomforscher“, das 2020 in Deutschland nach langem wieder neu aufgelegt wurde, schrieb er: „Nur durch diese künstliche, erzwungene und unnatürliche Loslösung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit von der Wirklichkeit des einzelnen Menschen konnten ja überhaupt Monstren wie die Atom- und Wasserstoffbomben entstehen. [...] Viele Forscher denken heute nicht mehr so. Sie wissen, dass sie nicht nur ‚Gehirne’, sondern ganze Menschen mit ihren Schwächen, ihrer Größe und Verantwortung sind. Diese große Gewissenkrise in ihrer Entstehung, im Versuch ihrer Meisterung nachzuforschen und sie dann trotz vieler einander widersprechender Aussagen so wahrheitsgetreu wie möglich aufzuschreiben, das war mein Bemühen“. Robert Jungk arbeite an den Vorbereitungen zu einem Roman über den Physiker Robert Oppenheimer, der als „Vater der Atombombe“ gilt, sowie über andere an deren Entwicklung beteiligte Wissenschaftler. Aus diesem Grund fuhr er 1953 von seinem Wohnort Santa Monica in Kalifornien nach Nevada, um Atomwaffenversuche aus nächster Nähe zu verfolgen. Es sollte sein Leben grundlegend verändern. Was ein Roman hatte werden sollen, wurde zu einer aufrüttelnden Mahnung. „Der Ton der neuen Zeit, ein fernes Brüllen“, wie er es nannte, war tief in sein Bewusstsein gedrungen. Noch 1989 erinnerte er sich daran „Was ich damals nicht wissen konnte ist, dass das eine Art Wendepunkt in meinem Leben sein würde, der Versuch gegen dieses Unheimlich zu kämpfen“.
Nachdem Robert Jungk die Prozesse des 20. Jahrhunderts in wesentlichen Zügen analysiert und beschrieben hatte, erkannte er vor diesem Hintergrund, was sich in der Gegenwart als mögliche Gefahr anbahnte, und entschied sich, mit dem Einsatz seiner Fähigkeiten und seiner ganzen Person Einfluss zu nehmen auf das Zukünftige. Robert Jungk verstand es gerade durch sein waches, einnehmendes Wesen, viele Menschen für seine Sache, die ja nichts als die unsere ist, zu gewinnen. In seinen Gesichtszügen mischten sich Willenskraft, Sorge und Güte. Sein Blick unter den dichten, buschigen Brauen war klar und zielgerichtet. Er vereinte in sich absolute Bestimmtheit und Wärme, kritische Intelligenz und Herzlichkeit: eine seltene Verbindung. Durch seine scharfsichtige Vorausschau ist er zu einem „Jahrtausendmenschen“ geworden, wie er einmal genannt wurde, obwohl er die Jahrtausendwende nicht mehr erleben durfte. Was nur besagt, dass er die richtigen Lehren und Konsequenzen aus der Vergangenheit der letzten hundert Jahre gezogen hat und uns durch sein beispielgebendes Vordenken heute noch ein richtunggebender Zeitgenosse ist.
In dem 2013, zu seinem 100. Geburtstag herausgegebenen Band „Projekt Zukunft. 14 Beiträge zur Aktualität von Robert Jungk“ findet der einstmals durch ihn angestoßene Diskurs seine Fortsetzung. Versammelt darin sind Beiträge prominenter Freunde, Weggefährten und Nachfolger. Mit auch kontroversen Argumenten, was einer kritischen Würdigung nicht nur angemessen ist, sondern ihr auch Kraft verleiht. Mit Blick aufs Wesentliche werden Robert Jungks Thesen auf ihre Aktualität hin überprüft und zentralen Fragen der Gegenwart gegenüber gestellt. Klaus Firlei und Walter Spielmann, Herausgeber des Bandes, rücken das Credo von Robert Jungk, Betroffene zu Beteiligten zu machen, in den Mittelpunkt. Ein Anlass für Andreas Gross, auf Robert Jungks Utopie-Verständnis hinzuweisen, aus dem „Eliteprojekt Europa“ ein zentrales Anliegen der Bürgerinnen und Bürger zu machen. Auch Horst W. Opaschewski plädiert für ein „Ende der Ichlinge“ und eine „Mitmachgesellschaft“, in der jedoch die Bereitschaft zum Ehrenamt nicht staatlich ausgenützt, sondern aufgewertet werden müsse. Franz Alt geht es um Potenziale und Probleme der Energiewende, um Nachhaltigkeit. Durch Ekkehard Krippendorff wird deutlich gemacht, wie Zukunftsforschung und Friedenssicherung sich gegenseitig bedingen. Um „Einsatz für Gerechtigkeit und humane Lebensformen“ geht es Marianne Gronemeyer, ausgezeichnet mit dem „Salzburger Landespreis für Friedensforschung 2011“.
Womit nur einige der allesamt brisanten Beiträge von Jungks Mitdenkern und Nachfolgern erwähnt wären. Nicht zu vergessen das sehr persönliche und aufschlussreiche Gespräch zwischen Walter Spielmann und Peter Stephan Jungk, durch das der Mensch, der Robert Jungk war, an Konturen gewinnt. Bliebe noch das „Sonnenbuch“, ein „Bericht vom Anfang einer neuen Zukunft“, die zweite Jubiläums-Publikation zu seinem 100. Geburtstag. Sie verdankt sich einem spektakulären Fund aus dem Nachlass des Zukunftsforschers und philosophischen Denkers. Walter Spielmann entdeckte das Anfang der 1980er Jahre angelegte, Fragment gebliebene „Sonnenbuch“-Projekt des Freundes in Mappen und fügte es zu einem sinnhaften Ganzen zusammen. Zu einer Erzählung über die Sonne als der uns allen geschenkten Kraft. Einer Erzählung, die einem Vermächtnis gleichkommt, in der tief eingetaucht wird in alte Mythen und in der neue Möglichkeiten im Miteinander zwischen Mensch und Natur aufscheinen. Robert Jungk hat sich gerne überall dorthin bewegt, wo „Sonnenforscher, Sonnenbastler und Sonnenverehrer“ am Werk waren und ihn in seiner Vision eines künftigen „Sonnenzeitalters“ bestärkten. Es sind Begegnungen und Gespräche, die Hoffnung machen. Ja, einen Vordenker wie Robert Jungk bräuchten wir heute dringender denn je. Einer, der uns den gegenwärtigen Zustand der Welt, die Zusammenhänge und Ursachen verdeutlicht. Einer, der uns Denkanstöße gibt, uns einen gangbaren Weg in die Zukunft und Möglichkeiten des Handelns aufzeigt. Einer, der uns Hoffnung macht, dass das Projekt Menschheit, das in seiner Hybris zu scheitern droht, doch noch Chancen hat. Rasant hat sich seit seinem Tod die Welt verändert: der entfesselte Kapitalismus nach dem Scheitern des Sozialismus; die Globalisierung, die alles und jeden beherrschende Digitalisierung; die unheilige Allianz von Politik und Wirtschaft. Wie würden seine Prognosen und seine Vorschläge zum Besseren aussehen? - Einen wie ihn vermissen wir schmerzlich.