Die Grammatik der Männer

Autor:Peter Blickle
Erscheinungsjahr:2014
Genre:Roman
Verlag:Verlag Klöpfer & Meyer


Vorgestellt von Gabriele Loges
Es ist keine leichte Aufgabe für mich als Frau, das Buch »Die Grammatik der Männer« vorzustellen. Aber da Peter Blickle u. a. Professor für Frauenstudien ist, will ich mich im Gegenzug revanchieren und mein Möglichstes tun. Zudem macht es Freude – auch jenseits von Oswalt Kolle –, den »Mann, das unbekannte Wesen« zu erforschen.
Die erste Frage ist, ob diese Grammatik eine für Männer (also ein Verhaltenskodex) oder von Männern (also eine Selbstdarstellung) – oder gar über Männer (also eine Interpretationshilfe für Frauen) – ist. Diese Frage möchte ich erst mal hinten anstellen.
Grammatik – so schreibt der Schweizer Autor Peter Bichsel – ist nicht einfach ein Regelwerk der Sprache, nicht einfach ein Richtig oder Falsch, wie uns die Schule weismachen will, Grammatik ist die Anleitung dafür, wie man Sprache bewegt.
Grammatik ist auch eine Art Skelett für die Sprache. Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Blickle sieht wie mit Röntgenaugen, was den Mann von heute bewegt. Er wählt hierfür das Besondere oder besser den Besonderen, er wählt ein »Er«, manchmal ein »Ich«, ein Individuum, das der Welt und sich immer wieder auf seinem Weg begegnet.
Es sind Einzelgeschichten, die für sich stehen könnten. Der »Roman in 19 Lektionen« ergibt aber auch ein komplexes Ganzes. Wir Leser finden dabei kein fertiges Bild, wir setzten es uns selbst zusammen. Wir bekommen Angebote, die uns mitziehen, die uns aber auch beobachten lassen, wie einer, der auszog, Entfernungen überwindet, wie er selbst »wird«, zu dem wird, was er am Ende ist.
Die Grammatik der Männer lehnt sich an einen Mann an. Konkret: Der Autor hat sich Anleihen bei einem gewissen Peter Blickle aus Wilhelmsdorf, Oberschwaben, geholt. Trotzdem handelt es sich nicht um eine Autobiographie, auch nicht um eine Autofiktion. Blickle tritt hinter seine Figuren zurück, er bewegt sie, er kennt sie teilweise bis in die letzte Faser, aber er ist nicht identisch mit den Geschaffenen. Wenn der eine oder andere Leser sich oder den Autor im Roman zu erkennen glaubt, ist dies trotzdem weder zufällig noch unbeabsichtigt. Aus welchen Quellen das fertige Werk eines Schriftstellers wie Blickle geschöpft hat, ist dabei allerhöchstens zweitrangig. Ich gebe allerdings zu: Für Menschen, die ihn persönlich kennen und mögen, mag es zusätzlich spannend sein zu entdecken, wo sich Fiktion und Biographie verschränken.
Blickle analysiert, er lotet den Wahrheitsgehalt anhand »gestalteter Realität« aus. Dabei spielt er mit seinen Figuren, er zweifelt, er hofft, er handelt mit ihnen.
Was mich an seiner Sprache besonders fasziniert: Zwischen zwei klaren Sätzen, quasi hinter dem Punkt und bevor der nächste Satz beginnt, findet der Leser »ein weites Feld« (Fontane) zwischen Oberschwaben und Amerika.
Ein kurzes Beispiel aus der Geschichte »Erste Klasse« möchte ich Ihnen vorlesen: »Ein Hauptbahnhof glitt draußen vorbei. Woran lag es, dass er bisher nie bemerkt hatte, wie klein er gewesen war? War es die Schule gewesen? Thema verfehlt. War es das Dorf gewesen? So etwas tut man nicht. War es das Elternhaus gewesen? Ich bin klein. Mein Herz mach rein. Soll niemand drin wohnen, als Jesus allein. Waren es die Eltern gewesen, die beide auf Bauernhöfen aufgewachsen waren? Die hinteren drei melkst du.« (S. 180)
Das scheinbar Vorbestimmte verlassen, sich selbst wagen und finden. Am Ende wird der Abiturient aus der ersten Geschichte, dessen Herz beim Fußball und in der körperlichen Nähe zum Torwart besonders intensiv schlägt, in die Welt gehen. Der Torwart und Maurer ist »wie sonst niemand«, mit ihm ist das Beieinanderliegen zum »nunderschreie« schön. Der fünf Jahre Ältere mit seinen Schmirgelpapierhänden und dem weißen Handtäschchen im Tor verlässt in dieser ersten Geschichte (zuerst) die Enge des dörflichen Lebens, die nicht zu ihm passt.
Peter Blickle verortet das Erzählte, deshalb darf zwischen Ravensburg und Bodensee das Oberschwäbische nicht fehlen, und in den Amerika-Geschichten begegnet uns hier und da ein englisches Wort. Der Ort und die Umgebung ist es, der den Menschen prägt, der ihn aber auch im Sinne der Metamorphose wachsen lässt. Seine Grammatik und Sprache benennt, ohne anzuklagen, staunend steht er am Ende vor der »weißen Leere« und füllt sie mit Leben.
Zum privaten und beruflichen Werdegang gäbe es viel zu sagen. Das Wichtigste in Kürze: Er ist das zweite von vier Kindern und in Wilhelmsdorf aufgewachsen, er war schon als Schüler sportlich sehr aktiv und hat ebenfalls früh – als Läufer und Lernender – den Drang »hinaus« gehabt, eine Verletzung brachte ihn jedoch zunächst mal ins Krankenhaus. 1984 schrieb er sich für ein Medizinstudium an der Western Michigan University ein. Doch schon bald belegte er fachfremd Seminare im Bereich Literatur und wechselte schließlich ganz zur Literatur. Er fing 1986 an selbst zu schreiben und promovierte 1995 über das Werk von Maria Beig. Immer wieder zog es ihn auch vom Norden Amerikas hinaus, um andere Städte und Länder kennenzulernen. Peter Blickle ist mit der Schriftstellerin Jaimy Gordon verheiratet und seit 2006 Professor für »German and Gender and Women’s Studies« an der Western Michigan University. Die Grammatik der Männer ist sein dritter Roman.
Ein Nachsatz: Die Grammatik der Männer ist – jetzt bin ich wieder beim Anfang – eine des Mannes an sich. Als meine naturliebende Tochter 10 Jahre alt war, sagte sie zu mir: Weißt du Mama, ich liebe den Mann-an-sich, der Mann-an-sich ist ein Naturphäno­men.