Selbstanzeige

Autor:Martin Zingg
Erscheinungsjahr:2015
Genre:Prosaband
Verlag:Engeler-Verlag


Rezensiert von Klaus Isele
Es ist nicht unbedingt empfehlenswert und selten überzeugend, wenn jemand aus dem Literaturbetrieb, der kein eigentlicher Schriftsteller ist, eines Tages anfängt, belletristische Werke zu verfassen. Spontan fällt mir für diese »Unsitte« der Name Michael Krüger ein, zuerst Lektor, später Leiter des renommierten Hanser Literaturverlages. Anders liegt der Fall bei Martin Zingg (Basel), der seit Jahrzehnten ebenso verdienstvoll wie erfolgreich als Herausgeber, Kritiker, Lektor, Übersetzer und Literaturvermittler wirkt. Ihn hätte man sich auch als reinen Belletristen vorstellen können, der durch seine diversen anderen Arbeiten einfach immer vom eigentlichen Schreiben abgehalten wurde. Denn der formvollendete Umgang mit Wörtern ist ihm ja seit eh und je auf den Leib geschrieben, ist täglich geübte Praxis. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, ist von ihm auch in der gemeinsam mit Rudolf Bussmann herausgegebenen Li­teraturzeitschrift »drehpunkt« (legendär!) mal ein literarischer Text erschienen. Nun legt er unter dem vielversprechenden Titel »Selbstanzeige« erstmals eine Sammlung von kürzerer und längerer Prosa in Buchform vor. Insgesamt 25 Texte. Darunter etwa die feinsinnige Geschichte über seine elf Väter, die ein Psychogramm seiner selbst darstellt. Lesenswert sind auch die Reflexionen über gelebtes, zurückliegendes Leben, zerrinnende Zeit, verflossene Gelegenheiten, Wegkreuzungen des Lebens, Fragen über das »Früher«. Der Band enthält Kindheitstexte, Erinnerungstexte und Alltagsgeschichten, von denen einige in Hotels spielen. Und es gibt auch etliche Ein-Satz-Geschichten. Etwa diese: »Schon wieder habe ich meine Vorsätze angestarrt, als könnten die was für mich tun.« Oder: »Ich kann nie in Ruhe fliehen. Immer muss ich auf die nächste Störung warten.«
Ein sehr empfehlenswertes Bändchen mit tiefsinnigem Inhalt und schmuckem Äußeren.