Gedichte

Autor:Otto Jägersberg
Erscheinungsjahr:2015
Genre:Gedichtband
Verlag:Diogenes


Vorgestellt von Jürgen Lodemann
Nein, dieser seit je hoch unterhaltsame Otto Jägersberg lässt nicht nach; mit seinen von Beginn an vielseitigen Sittenbildern aus täglichem Absurdistan war er uns schon immer um Längen voraus; spätestens seit seinen »westphälischen« Wahrheiten »Weihrauch und Pumpenickel« wusste er, wie alles enden würde, und das war damals sein Debüt, geschrieben als Twen. Als früh vorweggenommener lyrischer Münsterkrimi tröstete dieser Roman jahrelang vor allem jene, die von den Unsitten der westdeutschen Ökonomie aus NRW vertrieben waren in Deutschlands Südwesten (so wie Jägersberg selbst, nun schon seit vier Jahrzehnten gut geborgen im Schwarzwald), so etwas stärkte nicht nur Menschen mit Ruhr-Hintergrund, sondern auch die Ureinwohner rund um den Bodensee.
Nun aber erschienen endlich und erstaunlich stattlich präsentiert 120 seiner neuen »Gedichte«: »Keine zehn Pferde«, das verrät schon im Titel, dass hier nicht etwa, wie wir’s vom Lyrischen immer noch gern erwarten, die Nacht »träumend an der Berge Wand« lehnen wird, sondern dass sich da eher Ringelnatz trifft mit Erich Kästner, obwohl auch der gelegentlich raunen konnte »und aus den Zweigen fällt verblühter Schnee«. Mit solch täuschend echten Imitationen spielt auch Jägersberg, doch ist immer damit zu rechnen, dass bei ihm das Träumen wunderlich wegstolpert ins Reale, wie kurios zum Beispiel in »Drei Brillen«: »Meine drei Brillen / immer da / wo sie nicht / hingehören / Es sollte so sein / dass sie einsatzbereit / auf dem Tisch liegen / für jede Entfernung / eine / Manchmal such ich herum / drei Brillen auf der Nase / wo ist der Tisch.« Liebend gern solche furiosen Blickwechsel (»für jede Entfernung eine«), das garantiert bestmögliche Irritationen, den Lyrik-Leser schwindelt’s im Taumel zwischen Alters-Ernst und Jux, wobei meist schon die Titel deutlich warnen: »Hintern voll«, »Vom Küssen der falschen Frauen«, »Sternentstehungsträume« (»Kein Reinraum nirgends«). Da lauern Überraschungen selbst dann, wenn der Titel tödlichen Ernst androht, etwa mit »Ich stelle mir das Sterben vor« und dann folgt da eine Strophe wie diese, kinderleicht schwebend: »Sterben ist schwierig / gelingt aber / lehrt die Erfahrung / Ideal ist einschlafen / und tot aufwachen.«