Glückliche Tage im Schwarzwald

Autor:Jürgen Glocker
Erscheinungsjahr:2014
Genre:Roman
Verlag:Edition Isele


Vorgestellt von Hans-Dieter Fronz
Noch ein Schwarzwaldroman. Aber Jürgen Glocker lässt bereits im Titel durchblicken, dass ihm die Bestätigung von Klischees keine Herzensangelegenheit ist; im Gegenteil. Oder kann man den Titel anders verstehen denn als milden Spott und ironische Paraphrase auf die maulfaule Kürzestversion von Urlaubsgrüßen aus der beliebten Ferienregion?
Der Autor, Kulturreferent in Waldshut und nebenbei bemerkenswert produktiver Erzähler sowie feinsinniger Lyriker, kennt den Schwarzwald, wo er von Kindesbeinen an lebte, aus dem Effeff; seinen Helden freilich lässt er aus dem fernen Kalifornien anreisen. Carl Meyers, Linguist und »ewiger« Associate Professor mit deutschen Wurzeln, will raus aus der universitären Tretmühle. In der Heimat seiner Vorfahren sucht er das einfache Leben. Als »akademisches Wrack« und »schwächliches Männlein« mit Tinnitus, Zittern und Herzrasen langt er in Glasmatt, einem (fiktiven) Flecken unterhalb des Feldbergs, an. Auf Meyers wartet, doch er will es nicht anders, ein Leben »am Rande der Wildnis«. Wir sind, so scheint es, in eine klassische Aussteigergeschichte geraten.
Der Schwarzwald, aus der Perspektive eines Fremden gesehen: Als erzählerischer Kunstgriff ist das überaus ergiebig. Das Reisetagebuch des scharfäugigen und spitzzüngigen Icherzählers quillt über von Eindrücken. Meyers notiert sie – Ehrensache für einen Sprachwissenschaftler – in der Landessprache, wobei sein Deutsch sympathisch altertümlich der Sprachentwicklung ein paar Jahrzehnte hinterherhinkt. Auf der Suche nach Wanderausrüs­tung stößt er auf Bergstiefel der – merkwürdig! – Marke Mephisto. Und durchstreift fortan mit satanischem »Schuhwerk« und schnaufender Begeisterung die Lande. Falls er nicht gerade die Badische Zeitung oder schlicht »die Badische« liest – respektive sich bei Frau Rotzler, der Ortsbäckerin, mit ofenwarmen Brötchen und brandheißen Dorfneuigkeiten eindeckt. Letztere streut »Dosi« – die Abkürzung für ›Dorfsicherheit‹ – so ungefragt wie unentgeltlich.
Faszination und Befremden: Einerseits schaut Meyers den Kühen, die friedlich vor seinem Fenster weiden, tief in die Augen und singt als selbsternannter »Idyllendichter« das Hohelied auf den Hochschwarzwald. Andererseits muss er erkennen, dass auch im Schwarzwald der Himmel bisweilen »depressionsgrau« und schlechter Geschmack im Sinne »pseudobayerischer Schnitzbalkone« nicht unbekannt ist. Die Bestattungsriten der Eingeborenen wollen dem Tagebuchethnographen exotisch erscheinen, und der Ämterhürdenlauf durch Ausländerbehörde und Einwohnermeldeamt bereichert ihn um die einschneidende Erfahrung deutscher Gründlichkeit. Dennoch würde ihm ohne Maria, seine Schwarzwaldschöne, der liebe Tag wohl sehr schnell lang.
Auch in der kulturellen Wüste der südbadischen Provinz bleibt Meyers ein Kulturjunkie. Als Genius loci geistert Hebel durch sein Diarium. Und die badischen Kulturheroen dekliniert er lückenlos durch: von Grimmelshausen über Heidegger zu Peter Sloterdijk und Arnold Stadler; hinab sogar zu Stefan Strumbel (»Jeff Koons auf Dorfniveau«) und Max Mutzke aus Waldshut-Tiengen. Als Linguist stolpert er über so manche alemannischen Wörter und Wendungen. Dagegen fließen ihm hochdeutsche Kraftausdrücke (»Scheiße«, »alter Sack«) traumhaft sicher und gern in die Feder.
Sein kalifornisches »Luxusweibchen« Mia, die nach Beendigung ihrer Affäre mit seinem Vorgesetzten wieder auf Tuchfühlung zu ihm geht, erleidet bei ihrem Besuch in der »Freiburger Vorhölle« Glasmatts einen Kulturschock und tritt schleunigst wieder den Rückflug an. Als dann unerwartet Maria stirbt, ist auch für Meyers kein Halten mehr; zumal in Übersee eine (diesmal ordentliche) Professur winkt. – Merke: Aussteiger von heute sind unsichere Kantonisten. In Jürgen Glockers erfrischend klischeefreiem und erfahrungssattem, amüsant geschriebenem und glänzend unterhaltsamem, dabei mit allen Wassern moderner und postmoderner Erzähltheorie gewaschenem Roman verbürgt nicht einmal das Leben im weltabgeschiedenen Schwarzwald Dauer
im Wandel der Biografien.