Der Dichter Manfred Marquardt



Von Markus Manfred Jung
Manfred Marquardt, Lehrer und Dichter, wurde 1927 in Lörrach in eine Handwerkerfamilie geboren und wuchs in kleinen, aber gesicherten Verhältnissen auf. Unterbrochen von längeren prägenden Aufenthalten bei einem Onkel im ländlichen Muggenbrunn im Südschwarzwald, besuchte er in Lörrach von 1934-39 die Hebelschule und anschließend bis 1948 das Hans-Thoma Gymnasium, unterbrochen durch Arbeitsdienst in Böhmen und Kriegsdienst in der Wehrmacht. Mit einem Kameraden setzte er sich in den letzten Kriegswochen von der Front in die amerikanische Zone ab, arbeitete bei Heidelberg auf einem Bauernhof und schlug sich in die Heimat durch. Nach dem Abitur studierte Marquardt ein Semester an der Universität Freiburg Philosophie, Pädagogik und Psychologie. In einem diskussionsfreudigen Künstler- und Lehrerkreis mit dem Dichtermaler Paul Hübner, dem Keramiker Hermann Messerschmidt, mit Walter Eichin, Heinz Baumgartner und Ulf Schünemann, wurde, geprägt durch die Erfahrungen in der Nazizeit, ein neues, optimistisches Menschenbild entworfen, die Entwicklung der modernen Malerei und Musik der Welt außerhalb Deutschlands nachgeholt. Dem Jazz blieb Manfred Marquardt enthusiastisch verbunden bis ans Lebensende.
Von 1949-51 studierte er an der Pädagogischen Akademie in Lörrach mit dem Abschluss für das Lehramt an Volksschulen. Seine erste Stelle war in Marzell, im oberen Kandertal. Ab 1956 lehrte er in Niedereggenen im Markgräflerland, von 1964 bis zu seinem Tod am 14. Januar 1982 in Lörrach-Stetten an der Neumattschule. Er war als Lehrer eine beliebte, markante Persönlichkeit. Mit seinem Tun in diesem Beruf setzte er sich auch theoretisch auseinander und verfasste einige kritische Artikel darüber, z.B. „Gedanken zur Ordnungskrise in der Erziehung“, Privatdruck 1975, wo er ganz explizit gegen zwei Jahrzehnte „moderner Reformpädagogik“ zu Felde zieht. 1951 heiratete er Gisela Schlageter, die er 1946 beim ersten Tanzkurs nach dem Krieg kennengelernt hatte. Zwei Töchter gingen aus der Ehe hervor.
1979 erschien Marquardts erster Gedichtband „Eso goht's is“, in alemannischer Mundart und im Selbstverlag. Der Journalist Walter Bronner begleitete dieses spektakuläre Debut mit den Worten, der Band weise Marquardt als „einen wortgewaltigen Poeten alemannischer Zunge“ aus, dessen Verse sich von der liebenswerten Mundartpoesie anderer Autoren unterschieden „wie das Hämmern eines Spechtes vom Gesang der Nachtigallen oder Lerchen“. Neben den lebensbejahenden, manchmal derben Trinkliedern und den feinfühligen Natur- und Liebesgedichten ist es vor allem die schonungslose Zeit- und Gesellschaftskritik, wie sie im 1981 erschienenen zweiten Gedichtband „Noo de Zwölfe“ noch verstärkt zum Ausdruck kommt, die die Leserschaft der Region aufrüttelte.
Schon 1980, als Manfred Marquardt die Gedichte für seinen zweiten Band niederschrieb, wusste er um seine unheilbare Krankheit. Ein schnell wachsender Gehirntumor beeinträchtigten Seh- und Sprachzentrum. Für den Gedichtvortrag lernte er die Texte auswendig. Nur zwei Jahre durfte er mit seiner Dichtung präsent sein. Auch deswegen und nicht nur wegen der Radikalität seiner Texte blieb ihm jede offizielle Anerkennung seines dichterischen Schaffens versagt. 1984, posthum, gab seine Frau mit „Nachgelassene Gedichte in Alemannisch“ seinen dritten Gedichtband in die Öffentlichkeit. Marquardt wurde in den 1960er und 1970er Jahren kurzzeitig einer der Sprecher einer volksnahen Gegenöffentlichkeit wider die dominierenden Kalküle von Politik und Wirtschaft in der Auseinandersetzung um das geplante Atomkraftwerk Wyhl und andere umweltgefährdende Industriekomplexe im „Dreyeckland“ Elsass, Baden, Nordwestschweiz..
In seinem Essay „Hotzenwald, Stauhöhe 934“, zuerst veröffentlicht im „Basler Magazin“ der Basler Zeitung vom 3.5.1980, zeigt Marquardt sich als engagierter Kämpfer gegen die Errichtung eines Stausees im Hotzenwald, in einer einzigartigen, fast noch unberührten Moorlandschaft. „Was hier webt und vergeht, hat Teil an einem Sein, das dem menschlichen Auge nur zeichenhaft verschlüsselt widerfährt. Es will nicht platt verstanden, wohl aber vernommen und geachtet werden. Hier könnte man erleben, was es heißt, Schöpfung zu ehren und zu fürchten, ihr also Ehrfurcht zu erweisen.“ Marquardt war ein kämpferischer Naturschützer. Seine heutige Popularität und die Bedeutung seiner Dichtung gründen einmal auf dem hohen Grad von Authentizität und Ehrlichkeit seiner Texte und auf dem souveränen dichterischen Umgang mit der lebendigen und gelebten alemannischen Mundart.

Veröffentlichungen: „Marzeller Krippenspiel“, 1954; „Der Glasmann und die zehn Gebote der Wissenschaft“, Roman, ca. 1972 (unveröffentlicht); „Gedanken zur Ordnungskrise in der Erziehung“, Essay, 1975; „Eso goht's is“, Alemannische Verse. Mit Bildern von Herbert Späth und Worterläuterungen, 1979; „Hotzenwald, Stauhöhe 934“, Essay, 1980; „Noo de Zwölfe“, Alemannische Verse, 1981; Nachgelassene Gedichte in Alemannisch, 1984. Über Manfred Marquardt: Markus Manfred Jung, „Manfred Marquardt“, in: „D'Deyflsgiger“, Badische Kulturzeitschrift Nr. 7, 1982; Gerhard Jung, „Marquart Manfred“ in: „Badische Heimat, Heft 2 Juni 1983; Manfred Bosch, „Anestelle, was de weisch - Eine Erinnerung an den Lörracher Dichter Manfred Marquardt“ in: „Das Markgräflerland“, Band 1/2003; Markus Manfred Jung, „Manfred Marquardt (1927-1982)“, in: „Badische Heimat“, Dezember 4/2002