Das Phantom des Freien Schriftstellers

Eine polemische Adnote zum Literaturbtrieb



Von Peter Salomon
Als Schriftsteller habe ich mich in meinem Tun immer ziemlich frei gefühlt, unabhängig.
Nach dem Abitur begann der völlig Unbekannte damit, seine ersten Texte an Zeitschriften zu schicken, und immer öfter wurde etwas gedruckt.
Ich studierte dann Rechtswissenschaften, was mir nicht besonders schwer fiel. Deshalb konnte ich daneben Vorlesungen der Literaturwissenschaft hören, allerdings ohne dort Prüfungen abzulegen (immerhin erhielt ich einen Schein von Peter Szondi). Außerdem baute ich das Publizieren verstreuter Texte aus. Eines Tages erschien eine Rezension über eine Literaturzeitschrift, und als der Kritiker einige der darin gedruckten Autoren aufzählte, hieß es: »und natürlich fehlt auch der unvermeidliche Peter Salomon nicht.« Ich hatte gar nicht gemerkt, daß ich schon so oft gedruckt worden war, ich fühlte mich so frei von allen Beziehungen und Verpflichtungen.
Nach den juristischen Staatsexamina entschied ich mich, als Rechtsanwalt mein Brot zu verdienen und gleichzeitig als Autor zu arbeiten. Um dafür die nötige Freiheit zu behalten, begann ich als angestellter Rechtsanwalt mit dreieinhalb Bürotagen die Woche, die anderen dreieinhalb Tage hatte ich für die Schriftstellerei. Allerdings wagte ich als Angestellter in der Kleinstadt nicht, über meine Homosexualität zu schreiben und eine Anthologie mit homosexuellen Texten herauszugeben, die ich zusammengestellt hatte. Ich war unfrei aus Furcht vor Abmahnung oder gar Kündigung.
Nach vier Jahren machte ich mich selbstständig und behielt die Arbeitsverteilung von dreieinhalb : dreieinhalb Tagen bei. Von Dienstag bis Freitag Mittag war ich im Büro. Freitagnachmittag bis einschließlich Montag arbeitete ich zuhause. Wenn ein Mandant für Montag einen Termin wollte, war die offizielle Ansage: »Herr Salomon hat Montag ganztags einen auswärtigen Termin.« Wenn mal ein Gerichtstermin kollidierte, ließ sich die Regel nicht immer konsequent durchhalten – dann improvisierte ich eben und nahm einen anderen Tag frei für die Literatur.
Während der zwanzig Jahre meiner Anwaltstätigkeit fiel mir auf, daß ich von Institutionen der Literatur und Kollegen, die Funk­tionsträger waren, bei manchen Dingen ausgeschlossen wurde. Zum Beispiel bekam ich keine Literaturpreise und nur wenige Stipendien, auch gut bezahlte Lesungen gingen an mir vorbei. Ich hörte wiederholt: Als gut verdienender Anwalt hast du das ja nicht so nötig wie die Freien Schriftsteller, die davon leben müssen. Bei dieser Art Schriftstellerförderung steht mehr die soziale Komponente im Vordergrund; daß Preise auch Wertschätzung verkörpern und das öffentliche Ansehen eines Autors befördern, ist ein Aspekt, der bei der Preisvergabe meistens zu kurz kommt. Einen Preis bekommt bevorzugt der bedürftige »Freie Schriftsteller« – die Qualität des Werkes ist ein zweitrangiges Kriterium.
Und irgendwie leuchtete mir das sogar ein bißchen ein. Denn die sogenannten Freien Schriftsteller, die ich kenne, leben ja ein Sklavendasein und stehen finanziell alle schlecht da. Sie sind bis auf das Dutzend Bestsellerautoren alles Arme Hunde.
Es fiel mir aber auch auf, daß sie den Begriff »Freier Schriftsteller« wie ein Qualitätssiegel benutzen. Als sei der Schriftsteller, der außer der Schriftststellerei keinen Beruf hat, der bessere Schrift­steller. Suggeriert wird, daß er seine ganze Arbeitszeit auf die Literatur verwendet und deshalb gründlicher arbeiten kann als der Autor mit Brotberuf.
Perfide fand ich, daß ich immer wieder einmal von diesen sog. »Freien« in Zeitungsberichten oder Rezensionen als »dichtender Rechtsanwalt« bezeichnet wurde, so als sei ich ein Amateur oder, schlimmer, ein Dilettant. Ein Maler, der auch Richter ist, ist »der malende Richter« und »dichtende Ärzte« – naja, Gottfried Benn war da wohl die Ausnahme von der Regel?
Viele sog. »Freie Schriftsteller« brauchen wohl diese Lebenslüge, um ihr Sein zu ertragen: Sie sind zwar abhängig, sie sind zwar arm, aber sie sind frei und keine Dilettanten. Das ist die Mär.
Aber sie sind durch und durch abhängig, die sog. Freien, weil sie einen großen Teil ihrer Zeit in Antichambrieren investieren müssen: bei Zeitungen, Verlagen, Rundfunkanstalten usw. Sie müssen Bücher herausgeben, obwohl ihnen das Thema nicht am Herzen liegt. Sie müssen übersetzen und lektorieren, bzw. sie dürfen das für wenig Honorar tun, wenn ihr Antichambrieren gefruchtet hat. Viele erringen ein Funktionärsamt in einem Schriftstellerverband und sind dann für eine gewisse Zeit näher an den Futterstellen. Und die Spesen nicht vergessen! Dafür müssen sie ständig Vereinsmeierei betreiben und in Sitzungen ihre Zeit vertrödeln. Und dann müssen sie Aufenthaltsstipendien annehmen. Es gibt 1.500 Euro im Monat, dafür darfst du ein halbes Jahr irgendwo in der Provinz in einer Schriftstellerwohnung leben, du mußt Schullesungen machen und öffentliche Termine absolvieren. Deine Arbeitsbibliothek, deine literarischen Halbfabrikate sind zuhause. Aber natürlich solltest du und willst du etwas Neues schreiben, einfach so aus dem hohlen Bauch in einer fremden Wohnung. Ob das funktioniert?
Am freiesten ist man als Schriftsteller, wenn man von Haus aus vermögend ist und keiner Erwerbstätigkeit nachgehen muß. Der Reiche ist der wirklich freie Schriftsteller. Wenn er reich genug ist, hat er auch die Möglichkeit, für die Zufuhr an Lebensstoff zu sorgen, ohne den gute Literatur nicht entstehen kann.
Wenn man aber seinen Lebensunterhalt selbst durch Arbeit verdienen muß, ist man »Freier Autor« am besten als selbstständiger Rechtsanwalt oder in anderen sog. »freien« Berufen. Man kann in Grenzen frei über seine Zeit verfügen, man bekommt was mit vom Leben, hat also immer genügend Stoffzufuhr fürs Schreiben, und man hat genug Geld zum Leben.
Die Mär vom Freien Autor, der nur fürs Schreiben und vom Schreiben lebt, ist eine Lebenslüge. Der Autor mit Brotberuf ist freier und hat mehr Lebenszufuhr von außen. Eine handvoll Ausnahmen bestätigen die Regel.