Venedig lebt noch

Autor:Peter Frömmig
Erscheinungsjahr:2017
Genre:Prosaband
Verlag:Imago Mondial


Besprochen von Peter Oehler
Der ärgste Feind der Liebe, aber auch der Stadt Venedig, ist die Zeit.

Er ist ein eher stiller Mensch, der sich gerne am Rande – der Städte, der Gesellschaft – aufhält. Mit seinem 2016 erschienenen Buch „Die Liebe zur Peripherie: Freiburger Miszellen“ hat er dem Randständigen, also der Peripherie – in diesem Fall um Freiburg – einen Ausdruck verliehen. Peter Frömmig hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, stand dabei aber nie im Rampenlicht. Jetzt hat er einen Text quasi ausgegraben, den er 1981 geschrieben hat, der damals aber nicht zur Veröffentlichung gekommen ist.
Vieles bleibt im Dunklen, im Ungewissen, und das macht auch den Reiz dieser Erzählung aus, dass nicht alles ausgetreten und ausgesprochen wird, denn damit würde es auch ein Stück weit banalisiert werden. Und Frömmig schreibt ja auch gerade dagegen an, gegen die zunehmende „Verflachung der Sprache, auch in der Literatur“. Klar scheint nur zu sein, dass unser Protagonist in seiner „verdammten Lebensmitte“ eine junge Amerikanerin – sie heißt Deborah – kennenlernt und mit ihr eine gewisse Zeit (eine Woche, zwei Wochen?) in Venedig verbringt. Zuerst hat er sie in einem Zug nur flüchtig gesehen, ist ihr dann auf dem Bahnsteig in Salzburg gegenüber gestanden. Und verlassen hat sie ihn abermals auf einem Bahnsteig, diesmal im Westbahnhof Wien. Dazwischen liegt Venedig, mit seinen unwiederholbaren Tagen, „an denen alles möglich schien und nichts blieb wie zuvor.“
Der Text mäandert zwischen allgemeinen Betrachtungen – über die Liebe, über Venedig, über die Kunst, über das Bild als einen Weg zur Erkenntnis - und Konkretem dieser Liebesbeziehung, teils erzählerisch in der ersten Person Plural, teils wird Deborah aber auch direkt – per Du – angesprochen. Auch immer wieder ein Sehen in Bildern im Text. Dabei zeigt sich an vielen Stellen, dass die im Buch abgebildeten Photographien von Jörg Henninger, die übrigens im gleichen Jahr in Venedig entstanden, in denen Frömmig selbst dort gewesen ist, wirklich ausgezeichnet mit dem Text korrespondieren. Sie drücken in ihrem Schwarzweiß eine gewisse Melancholie, eine Bluesstimmung aus, die auch der Erzählung inne wohnt. Auch ist diese durchwoben von kurzen Zitaten aus einem Buch von André Breton, die sich kongenial und wohlwollend einreihen.
Auch poetische Betrachtungen und Vergleiche ziehen sich durch den Text. Da wird sowohl der Liebe als der Poesie attestiert, dass sie keinerlei Rücksicht auf materielle Notwendigkeiten nimmt. Sowohl die Liebe wie die Kunst „sind subversive Kräfte gegen die herrschenden Richtlinien des Denkens und Handelns, gegen Herrscher jeder Art, gegen Lebensfeindlichkeit“. Es geht darum, durch die Liebe zum wahren Leben vorzudringen, „das wir vielleicht nur erfahren können, wenn wir ausbrechen, alle Schranken überwinden“. Da wird auch ein halbgeöffnetes, großes Tor zur Todesahnung.
Die Liebe ist dabei ein Mittel, sich über das Zeitliche hinwegzusetzen, „herausgetreten […] aus dem irrsinnigen Labyrinth der Zeit“. Eine derart unbedingte Liebe – rücksichtslos – erinnert an das Buch „Untertauchen“, wo sich Paul Nizon in der Liebe zu einer Bardame in Barcelona ganz verliert, regelrecht verlustig geht, dabei Frau und Kinder und Job einfach vergisst. Eine solche Konsequenz scheint es in „Venedig lebt noch“ nicht zu geben.
„Orte der Vereinigung“ bzw. „Orte intimer Stunden und unaussprechlicher Berührungen“ werden nur als solche benannt, mehr nicht, keine Details. Und trotzdem strahlt dieser Text eine Erotik aus, macht diese bitterzarte Liebe auch in ihrer Erotik nachvollziehbar. Doch einmal wird Intimes preisgegeben, aber anders als man denkt. Erzählt wird in einem Abschnitt von der Vorliebe Deborahs, Fetzen von vielschichtig-überklebten Plakatwänden auf ihren Streifzügen durch Venedig zu sammeln, um sie dann abends auf der Bettdecke des Doppelbetts im Hotelzimmer auszubreiten, darin zu versinken und daraus Collagen zu bilden. Diese Vorgehensweise erinnert stark an die Kunstrichtung der Affichisten, denen mittlerweile ja sogar ganze Ausstellungen in Museen gewidmet sind.
Nach diesem Liebesabenteuer war unser Protagonist wohl noch eine ganze Weile unterwegs. Dieses Umherirren, Sich-treiben-lassen und diese Unbehaustheit wird im Prolog deutlich spürbar. Damit reiht sich der Autor vielleicht auch ein klein wenig ein in die US-amerikanische Tradition des „On the Road“. Und auch Jack Kerouac hat ja schließlich einmal eine ebenfalls bitterzarte Liebe beschrieben, kurz nachdem sie verflossen war, in „The Subterraneans“ von 1958. Der Venedig-Text ist 1981 geschrieben worden. Und zu jener Zeit war Frömmig räumlich noch nicht fest gebunden. Er lebte von 1965 bis 1995 an ganz unterschiedlichen Orten der Welt: in Köln, Salzburg, den USA, Wien und Freiburg. Erst durch seinen letzten Umzug nach Marbach am Neckar ist er dann sesshaft geworden.