Am Leben

Autor:Franziska Greising
Erscheinungsjahr:2016
Genre:Roman
Verlag:Zytglogge Verlag


Vorgestellt von Brigitta Klaas Meilier
Am Beispiel des Schicksals jüdischer Kinder von La Hille erzählt die Autorin eindringlich,
wie die inhumane Praxis der Grenzschliessung, die der Bergier-Bericht zur politischen Praxis
und Verantwortung detailliert aufführt, in das Leben der betroffenen Kinder konkret eingriff.
Die Geschichte des Lagers am Fuss der Pyrenäen in Frankreich ist in wesentlichen Zügen
bekannt. Die Kinder, die zunächst nach Belgien evakuiert worden waren, wurden mit Beginn
des Zweiten Weltkriegs in die noch besatzungsfreie Zone Südfrankreichs in Sicherheit
gebracht. Zunächst in einer Art Verschlag untergebracht, gelang es der Lagerleitung, das in
der Nähe gelegene, halb verfallene Landschloss La Hille anzumieten und mit Hilfe der Kinder
bewohnbar zu machen. Die Lage verschärfte sich zusehends, nachdem auch dieser Teil
Frankreichs der deutschen Wehrmacht zum Opfer fiel. Nur wenigen dieser Kindern gelang
eine sichere Flucht, die meisten wurden deportiert und umgebracht.
Aus diesen historisch belegten Fakten erzählt die Autorin die Geschichte einiger Kinder,
deren Schicksal aktenkundig wurde. Der (vielleicht etwas lange) erste Teil stimmt
atmosphärisch dicht auf deren bedrohliche Lebenssituation ein. Detailreich und mit großer
Einfühlung wird ihre prekäre Lage geschildert, die sich über die Jahre immer weiter
verschlechtert. Die Glarnerin Rose Näf, eine junge, Lambarene erfahrene Krankenschwester,
war von den französischen Behörden zur Directrice ernannt worden. Sie behielt ihre Position
auch, nachdem das Lager kurz darauf dem Schweizerischen Roten Kreuz unterstellt wurde.
Durch ihren Einsatz bei französischen und schweizerischen Stellen sorgte sie dafür, dass die
Kinder sich unter kärgsten Bedingungen mit Spenden aller Art am Leben halten konnten. Bei
ihrem Tun war sie sich stets des Rückhalts durch das neutrale SRK sicher. Die Autorin
entfaltet hier den Alltag der Kinder in einer Sprache, die zwar das Unheil nicht ausblendet,
aber doch etwas zurücknimmt, ganz so, wie es die Kinder selbst erlebt haben könnten.
Deren Bedrohung nimmt schlagartig zu, als auch das bisher unabhängige SRK dem
Militärdepartement unterstellt wird. Eine erste Konsequenz bestand in dem politischen
Beschluss, den Schutz jüdischer Flüchtlinge, auch jüdischer Kinder, aufzugeben. Wie sich
dies auf die Lage der Kinder von La Hille auswirkt, davon erzählt der dramatische zweite
Teil. Denn mit der Besetzung gleichzeitigen auch des bisher noch freien Teils Frankreichs
verschlechtern die Überlebensmöglichkeiten der Kinder weiter. Als eine Deportation der
älteren Kinder vorbereitet wird, interveniert Rose Näf bei den französischen Behörden in
einer vom SRK nicht legitimierten Aktion. Sie wird dafür nach Bern zitiert, wo sie sich zu
rechtfertigen hat und gerügt wird. Doch die Kinder waren vorerst gerettet. Danach entschliesst
sie sich, ihren Schützlingen bei Fluchtversuchen heimlich zu helfen. Der Roman strebt seinem
dramatischen Höhepunkt entgegen, als die inzwischen herangewachsene Inge gemeinsam mit
einer von ihrem heimlich geliebten Chaim geleiteten Gruppe sich nachts auf den winterlichen
Fluchtweg macht und mit Hilfe der Résistance an die Schweizer Grenze gelangt …
Der mutige, lebensrettende Widerstand der Glarnerin Rose Näf wurde weder von der
offiziellen Schweiz noch vom Roten Kreuz je gewürdigt. Einzig ihre Ernennung zur
Gerechten unter den Völkern durch Israel trägt ihrem Mut Rechnung. Gern wüsste man als
Leserin am Ende des Romans mehr über den weiteren Lebensweg dieser mutigen Frau.