Das antikapitalistische Buch der Mode

Autor:Tansy E. Hoskins
Erscheinungsjahr:2016
Genre:Sachbuch
Verlag:Rotpunktverlag


Rezensiert von Brigitta Klaas Meilier
Marx und Mode? Kann es grössere Gegensätze geben, liesse sich fragen. Aber siehe da, die
Verbindung könnte kaum enger sein. Ist doch gerade das, was wir als Mode bezeichnen, nur
mit dem Marx’schen Begriff vom Warenfetisch zu verstehen. Denn genau davon lebt die
Modeindustrie. Wie sonst ließe sich erklären, dass, wie die britische Journalistin des Guardian
schreibt „ein paar zusammengenähte Stückchen Segeltuch mit ein bisschen Leder so viel
Bedeutung beigemessen wird?“ Gemeint sind hier Vuitton-Taschen, die für mehr als tausend
Euro gekauft werden. Dasselbe gilt auch für andere Accessoires wie Sonnenbrillen, Gürtel,
Parfüms etc. Es ist aufschlussreich, wie die renommierte britische Journalistin mit Blick fürs
Wesentliche diese Industrie unter die gesellschaftskritische Lupe nimmt. Zwar untersucht sie
nur die Modebranche, jedoch nicht ohne bewusst zu machen, dass Mode als Teilsystem des
kapitalistischen Systems nach dessen Gesetzen funktioniert. Sie geht diesem System nach,
dorthin, wo es produziert und dorthin, wo es designed und dargeboten wird, also zu den
Arbeiterinnen, Models und Journalisten. Dabei findet sie in der Produktion so krass ausbeuterische
Verhältnisse vor wie Engels sie für die Anfänge des Industriekapitalismus in
England für die Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben hat. Damals fand in Europa der grosse
Schub der ursprünglichen Akkumulation statt. Zumindest das hat sich geändert, denn für die
Kapitaleigner heute ist die Produktion von Mode in Asien nur eine der möglichen Fluchten
vor der sinkenden Profitrate in kapitalistisch gesättigten Industrieländer. Insgesamt untersucht
die Autorin detailliert sieben Aspekte, die ineinander wirken – von unserem Bewusstsein
weitgehend unbemerkt, aber dort wirksam –, um die Bekleidungsbranche zu einer derart
profitablen Industrie mit einem Jahresumsatz von 1,5 Billionen Dollar zu machen. Zur
Illustration beschreibt sie einen netten Herrn, der mitten in der Wirtschaftkrise 2009 ein
beschauliches Dorf in der südenglischen Grafschaft Hampshire kaufte. Mit dem zum Dorf
gehörenden „Umschwung“ von 800 Hektar Land wechselte das Ensemble für etwa 36
Millionen die Hand. Hört sich viel an, ist es aber nicht, wenn man (laut Forbes) über ein
Vermögen von 23 Milliarden Dollar verfügt. Dem neuen Eigentümer gehört ein Kleiderladen
nahen Städtchen Newbury, in dem er dieselbe Mode verkauft wie in den anderen 2500 Läden
weltweit: Herr Persson ist der Eigentümer von H & M. In der Branche lautet der Fachbegriff
für seine Art von Mode Fast-Fashion. Der mehrmalige Wechsel der Kollektionen im Jahr
garantiert einen raschen Kapitalumschlag; das allein generiert schon eine höhere Rendite als
längerfristig gebundenes Kapital. Während Herr Persson die Bewohner des Dörfchens glücklich
macht, indem er ihr Leben nicht modernistisch umkrempelt, sondern schön konserviert,
verschmutzen seine Fabriken in Asien die Umwelt, verschwenden das kostbare Trinkwasser
und andere landwirtschaftliche Ressourcen, ohne dass er gegen die immer wieder tödlichen
Unfälle unter den Arbeitenden in seinen Fabriken wirksam vorgeht. Erst durch die bekannt
gewordenen Brände vor allem in den asiatischen Produktionsstätten wurden wir endlich
aufmerksam auf die Zustände, in denen unsere Kleidung produziert wird. Nebenbei gesagt,
nicht nur die billig zu kaufende. Und selbstverständlich auch nicht nur Kleidung, sondern alle
Bestandteile, welche von Mode erfassbar sind. Viele Ketten, die ursprünglich nur Mode
verkauften, machen ihren Profit inzwischen mit Accessoires, die ihren Namen tragen,
tatsächlich aber von Lizenzträgern auf den Markt gebracht werden. Die Rechnung geht auf:
Die Ware wird extrem billig hergestellt, die Produkte erfahren bei jedem Weiterverkauf einen
vielfachen Aufschlag, bis sie vom Lizenznehmer schliesslich zum nicht selten Hundertfachen
des Gestehungspreises dem Endkonsumenten angeboten werden. Vor allem Parfüms bringen
den ganz großen Gewinn; sie lassen sich als Luxus schlechthin verkaufen. Kaum eine der
weltweiten KonsumentInnen kennt wohl die tatsächlichen Eigentümer dieser doch so
zahlreichen Marken. Kering? Oder die Familie Reimann, der Kering gehört? Unbekannt?
Dafür sind die Marken des Konzerns um so bekannter: Gucci, Saint Laurent oder Puma sind
nur drei Namen des Konzerns, von dem die Autorin 15 Weltmarken auflistet. Auch LMHV
aus Frankreich gehört mit den Marken Dior, Dom Perignon, TAG Heuer, Louis Vuitton,
Bulgari, DKNY, Hennessy und zwanzig weiteren zu den nur sechs Oligopolen, in die sich der
größte Teil der Luxusproduktion aufteilt; ob das japanische Uniqlo oder der schweizerische
Konzern Richemond mit Marken wie Montblanc, Dunhill oder Cartier. Äusserst aufschlussreich
ist das Kapitel über Modehefte, die als Transporteure den KonsumentInnen die jeweils
neuen „Trends“ zu vermitteln haben. JournalistInnen kapitulieren oft schon aus Angst vor
Repressionen der Redaktion oder davor, von den Einladungslisten der Modehäuser gestrichen
zu werden. Denn Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Je öfter eine Marke in den
einschlägigen Medien inseriert, um so häufiger wird sie auch im redaktionellen Teil des
Mediums genannt.
Zur schlimmsten Seite der Mode aber gehört neben der unglaublichen Ausbeutung der
Models – auch das ein aufschlussreiches Kapitel über den Sexismus und Rassismus der
Branche – der Produktionsprozess selbst. Die nach den verheerenden Bränden angeblich
geschlossenen Abkommen zur Einhaltung zumindest unterster Standards können von den
vielen Subunternehmern unterlaufen werden, weil es genügend BewerberInnen für diese
Sweat-Jobs genannten Arbeiten gibt: Arbeitszeiten bis zu 16 Stunden, unbelüftete Räume in
oft vergifteter Atemluft, eine Arbeit, die aus wenigen Handgriffen besteht, wie eine
Hosentasche anzunähen oder überschüssige Fäden aus Nähten zu zupfen.
Um nicht nur eine Bestandsaufnahme zu liefern, greift die Autorin für eine nachkapitalistische
Gesellschaft auf frühsozialistische Vorstellungen von konkurrenzloser Gemeinschaftsarbeit
zurück. Allerdings gilt auch hier das Marx’sche Diktum: Die neue Gesellschaft
entsteht durch ökonomische Zwänge der alten. Dass voluntaristische Eingriffe dabei nicht
helfen, wissen wir ja bereits.