Krieg und Liebe

Autor:Lukas Bärfuss
Erscheinungsjahr:2018
Genre:Essayband
Verlag:Wallstein Verlag


Rezensiert von Brigitta Klaas Meilier
In einem Gespräch bezeichnet Bärfuss seinen im Frühjahr erschienenen Essayband als Protokolle täglicher Denkarbeit. Der Band enthält neben Dankesreden zu Preisverleihungen Reden zu vielfältigen Anlässen und Essays, darunter den vieldiskutierten und Aufsehen erregenden Essay in der FAZ im Herbst 2017 über die Schweiz, der hier heftige Reaktionen hervorrief. Einige sind zuvor im Druck erschienen, es gibt aber auch bisher unpublizierte Reden wie die Eröffnungsrede am Nietzsche-Colloquium in Sils Maria 2016. Darin beschäftigt sich Bärfuss mit Nietzsches Text »Zur Genealogie der Moral« und gewinnt dessen Gedanken eine besonders fürs Hier und Jetzt zunehmend bedeutender werdende Methode ab: Die Antithese. Denn schon Nietzsche baute seine späteren Schriften sehr bewusst auf Antithesen auf, griff dabei zum Beispiel die herrschende Moral an und versuchte sich an Argumenten fürs Gegenteil. Bärfuss seinerseits sieht in der Weiterentwicklung dieser Methode den Typus des Populisten heranreifen, der sich in verkürzender und ihrem Bedeutungszusammenhang entkleideter Sprache Antithesen zum Bestehenden sucht, um sich selbst als Retter zu stilisieren: Die Konstruktionen von Eliten, Pressekartellen oder einer europäischen Zentralbürokratie dienen als Folie für die Retter, sie sollen verunsichern und Überzeugungen bis zu deren Zerstörung aufweichen. Je heftiger der Angriff auf Verbindlichkeiten ist, um so grösser ist heute das mediale Echo; ein bestens erprobtes Mittel, für das die Medien keinen Ausweg finden. Allgemein ist die (neue) um sich greifende Sprachlosigkeit Gegenstand vieler seiner Überlegungen: Weg von sachgerechter Kritik, hin zu Verkürzung, zu „Schrumpfformen“ einer Sprache, die nur noch plakativ argumentiert. In seiner Dresdner Rede im April 2017 knüpft er an seine eigene Leseerfahrung als Jugendlicher an, nachdem sich zuvor in Deutschland einige bekannte SchriftstellerInnen wie Uwe Tellkamp (Dresdner), Monika Maron oder auch Rüdiger Safranski ihres liberalen Mantels entledigt hatten. Der Protagonist seiner Lektüre damals war ein Zauberer, der sich als ein Magier des Wortes erwies, denn er besass einen Automaten, der die Sprache auf Schlagworte, Formeln und Zauberworte schrumpfen liess. Bärfuss dazu: „Ich glaube, der Anfang des Totalitären, das kann man auch bei Viktor Klemperer (...) in seiner LTI, Lingua Terrii Imperii, lesen, das erste Kennzeichen der totalitären Sprache die Reduktion ist, die Reduktion auf einzelne Begriffe.“
Wie in anderen Titeln auch kehrt der Hintergrund zu Bärfuss’ letztem Romanthema Hagard in den vorliegenden Essays wieder. Hier im Thema Aneignung als erotisch/sexueller Besitz und Zerstörung. Der Vielfalt seiner Themen ist gemeinsam, dass sie politisch Haltung zeigen und auf ihre Wirkung hin gedanklich überprüft werden. Eine inzwischen selten gewordene und daher umso wertvollere Fähigkeit eines Schriftstellers.