dachbettzyt

Autor:Angelia Maria Schwaller
Erscheinungsjahr:2012
Genre:Gedichtband
Verlag:Knapp Verlag


Besprochen von Dominik Riedo
Man soll keine Namen nennen. Mein Name ist aber Dominik Riedo. Letzteres ist ein Fribourger Name (genauer aus dem Sensebezirk, dem einzigen rein deutschsprachigen Bezirk des Kantons Fribourg; siehe http://files.newsnetz.ch/extern/infografik/namenka rte). Und Dominik heisst eigentlich: dem Herrn zugehörig. Oh Schande! Denn wenn schon, dann wäre ich lieber einer Dame (zuge)hörig. Womit wir beim Hauptthema sind:
Ich habe gerade das erste Buch von Angelia Maria Schwaller gelesen. Merken Sie sich den Namen. Ja, diesen Hauptnamen, ebenfalls ein Fribourger Name. Und das ist hier wichtig. Denn Schwaller schreibt in ihrem Buch dachbettzyt in ihrem Idiom, dem Senslerdeutsch oder eben: Seislertütsch.
Zugegeben: Als Kind hat mich diese Mundart immer etwas abgestossen. Das hatte aber weniger an der Sprache selbst, denn an gewissen Sprechern gelegen, die ich überhaupt nicht mochte. Sie und damit die Sprache kamen mir ungehobelt vor und rauh. Wenn ich das Bild des Bauerhauses meiner Grosseltern vor Augen habe, sehe ich immer die unzähligen Fliegentätschen, mit denen viele Onkel geradezu ekstatisch auf die armen Kreaturen eingeschlagen haben.
Die Sprache selbst jedoch ist durchaus liebenswert, und sei es nur, weil sie immer wieder mal fast am Aussterben ist. So gehört das Senslerdeutsch zu den wenig bekannten Sprachformen des Schweizerdeutschen, dafür – und das freut mein Germanistenherz – zu den am besten erforschten. Als wirklich besonders gilt zum Beispiel die Umschreibung des Evolutivs und Passivs mit ›kommen‹ statt mit ›werden‹: Si chùnnt vùrùckti (sie wird wütend) bzw. är chùnnt gschlagna (er wird ge­schlagen).
Aber Wissenschaft ist das eine, Dichtung das andere. Wenn die Sprache tatsächlich ausstürbe, und nur Gesprächsfetzen oder Briefe hundskommuner Menschen überliefert wären, würde man das Seislerdeutsch vielleicht einmal für eine Sprache halten, die nur da war, um nicht richtig verstanden zu werden, für einen Ulk auf den Theaterbrettern – so wenige ›seriöse‹, ausgearbeitete Texte sind vorhanden. Vielleicht auch, weil es ziemlich lange dauerte, bis eine Literatur in dieser Mundart auf­trat: Meistens bezeichnet man als ersten Senslerdeutsch-Schriftsteller den Priester Viktor Schwaller (1875-1958; nomen est …), einige Sagen gesammelt hat German Kolly (1898-1980); dann tut sich das Feld etwas weiter auf unter anderem mit Peter Boschung (1912-1999), Roland Mülhauser (*1937) und Hubert Schaller (*1955), bis hin eben zu Angelia Schwaller (*1987). Sie alle sorgten dafür, dass diese Sprache nun auch als Literatursprache gelten kann.
Jetzt könnte man natürlich denken, jede und jeder, der in diesem Dialekt schreibe, müsse wohlwollend aufgenommen werden, rette sie oder er doch gewissermassen das Idiom vor dem Aussterben: Doch dem ist nicht so! Dieser Dialekt, archaisch in seiner Art, kann literarisch sauer und dumpf tönen, unschön zum Zuhören – wenn eben nicht auf die ihm innewohnende Sprachmelodie gehört wird. Diese Aussage ist nichts Neues. Gerade Mundart-Performer wie Pedro Lenz, wieder so ein Name, sind von Lesungen dieser jungen Dame aus Uebers-torf im Fribourgischen hell begeistert.
Aber darauf will ich hier gar nicht hinaus. Denn obwohl sich dem zu Hause Lesenden (wem das Senslerdeutsch nicht wie mir ziemlich geläufig ist, helfen übrigens Erläuterungen am Ende der Seiten) die Sprachmusik ebenfalls öffnet, gefällt mir an diesem Gedichtband, dass darin einige wirklich radikale Gedichte stecken. Viel krassere Literatur als so manch hochgelobtes Fräuleinwunder (nein, HIER nenne ich keine Namen; dem Neugierigen verrate ich, an wen ich gedacht habe, wenn man mir eine hübsch gedrechselte Mail schreibt) ihr Lebtag fertigbringen wird. Klar war Angelia Schwaller bei der Herausgabe des Buches erst 25 Jahre alt und man findet Gemeinplätze darin. Aber eben auch feinste Beobachtungen, aus denen sie eine Melancholie und Bedeutungstiefe herausholt, die einfach unglaublich ist. Lesen Sie selbst: zümlich / wee tuets // im momänt // isch nüme / vüü da // ds meischta // hanget a dier. Alles, was ich bin, hängt noch an Dir, wenn Du mich verlässt – so fühlte ich auch. Aber ich konnte es noch nie so sagen. Oder so: i bü troches ù auts broot / lige yygschlosse / i dyr hann / chùme vertrückt / va dier // nay / we aus verbyy isch / schmiizeschù mier / verbroosmet / ùfe stiibode / zùm fraas vor // verströit kyen i / d ritzen / ay ù gange / verloore.
Leidenschaft unter einem ruhigen, der Sprache sanft folgenden Äusseren. – Ja, dieser Dame wäre ich gerne zugehörig.
Was?! Nein, Sie Lustmolch, ich habe die Sprache gemeint. Schä­-men Sie sich in Drei-Teufels-
Namen!